Einfacher und schneller schreiben dank Checklisten-Plotting

Wenn es ums Schreiben von Romanen geht, kommt immer wieder die alte Diskussion zwischen „Plottern“ und „Pantsern“ auf. Während die „Plotter“ (oft auch als Planer, Outliner oder als Architekten bezeichnet) ihre Romanhandlungen stets bis ins letzte Detail vorplanen, bevor sie mit dem eigentlichen Schreiben beginnen, stürzen sich klassische „Pantser“ (auch als Gärtner, als ‚organische Schriftsteller‘ oder als ‚entdeckende Schriftsteller‘ bekannt) auf Basis einer interessanten Grundidee ins Schreiben und lassen sich zusammen mit ihren Romancharakteren überraschen, wohin sie die Handlung führt.

In der Praxis gibt es natürlich kaum einen ‚lupenreinen‘ Plotter oder Pantser, sondern die meisten Schriftsteller bewegen sich irgendwo in den unendlich vielen Graustufen zwischen diesen beiden Extremen. Ein klein wenig plant auch der eingefleischteste Pantser und selbst der hartgesottenste Plotter ist üblicherweise durchaus bereit, das Ende seiner Romanhandlung noch einmal anzupassen, wenn ihm auf halbem Wege eine noch bessere Idee kommt.

Beide Ansätze haben ihre individuellen Vor- und Nachteile: Plotter haben üblicherweise eine gut strukturierte Rohfassung, die wesentlich weniger Überarbeitung benötigt als die eines Pantsers. Dafür spart sich der Pantser den Zeitaufwand für die Planung und bewahrt sich die kreative Freiheit, beim Schreiben jeder neuen Idee zu folgen und jede interessante Abzweigung zu nehmen. Im Allgemeinen haben die Romane von Pantsern oft zu wenig Struktur und plätschern oft recht lange ziellos vor sich hin, während die Romane von Plottern manchmal etwas zu sehr am Reißbrett entworfen und daher „zu konstruiert“ wirken.

Doch es gibt einen guten Kompromiss zwischen den beiden Extremen, der einerseits für eine gewisse durchgängige Struktur sorgt, andererseits aber dem Schriftsteller genügend kreative Freiheiten lässt, um die Handlung unterwegs an neue Erkenntnisse und Ideen anzupassen: das „Checklisten-Plotting“.

Sagt Ihnen überhaupt nichts? Macht nicht. Sie brauchen auch gar nicht erst zu versuchen, diesen Begriff zu googeln – er ist von mir erfunden worden. Aber jede Technik braucht nur einmal einen passenden und griffigen Namen. ;-)

Beim Checklisten-Plotting plant man lediglich den Anfang und das Ende eines Romans, lässt aber den großen Mittelteil offen und hält stattdessen nur die wichtigsten Punkte, die bis zum Ziel erreicht werden müssen, als formlose Checkliste fest. Beim eigentlichen Schreiben des Romans hakt man diese Punkte dann ab, sobald man sie „erledigt“ hat.

Das klingt jetzt natürlich noch ziemlich abstrakt, aber ein kleines Beispiel verdeutlicht die Sache recht schnell: Wenn ich nach einem tiefen Griff in die Klischee-Kiste eine weitere Version der alten Geschichte „Junger Bauernbursche zieht aus, um den bösen Drachen zu erschlagen, der das Land terrorisiert“ schreiben möchte, sind Anfang und Ende ziemlich schnell klar.

Anfang: Der Protagonist – nennen wir ihn Max – startet als junger, unerfahrener Bauernbursche, dessen väterlicher Hof gerade vom Drachen in Schutt und Asche gelegt wurde.

Ende: Max stellt den Drachen zum finalen Kampf, erschlägt ihn mit dem magischen Schwert, das allein in der Lage ist, die Schuppen des Drachen zu durchdringen, rettet damit das Land, erbeutet den Schatz des Drachen und erhält vom König zum Dank die Hand der Prinzessin.

Klappen wir also die Klischeekiste wieder zu und überlegen uns, was zwischen der Ausgangssituation und dem geplanten Ende mindestens passieren müsste, um das Ende plausibel zu gestalten. „Mindestens“ deswegen, weil wir zu diesem Zeitpunkt wirklich nur die Punkte festhalten, die wirklich passieren müssen – nicht die optionalen Dinge, die Max unterwegs noch erleben könnte.

In dieser Phase notiert man zunächst einmal alles, was einem hier in den Sinn kommt, ohne sich großartig über die logische Reihenfolge der Ereignisse Gedanken zu machen oder gar konkrete Szenen zu planen.

Checkliste für „Max, der Drachentöter“:

  • Max erhält das magische Schwert
  • Max findet heraus, wo das Versteck des Drachen ist
  • Max lernt, wie man mit einem Schwert kämpft
  • Max erfährt, welche Schwachstellen ein Drache hat und wie man sie bekämpfen kann
  • Max erfährt, dass der König demjenigen, der das Land vom Drachen befreit, die Hand der Prinzssin versprochen hat
  • Max erfährt, dass eine normale Waffe die Haut des Drachen nicht durchdringen kann
  • Max zieht vom Hof seines Vaters los
  • Max erhält einen Schild, der ihn vor dem Feueratem des Drachen schützen kann

Sie sehen schon, dass diese Liste vorerst noch absolut unstrukturiert ist und keine logische Reihenfolge hat. Es ist mehr wie das Schreiben einer Einkaufsliste, auf der Sie alles notieren, was Sie benötigen, um ein mehrgängiges Menü für Ihre Freunde zu kochen.

Tatsächlich hat das Schreiben eines Romans mit dem Checklisten-Plotting etwas von einem Großeinkauf im Supermarkt: Man hat zwar seine Einkaufsliste dabei, auf der man sich alles notiert hat, was man besorgen möchte, doch sind diese Dinge üblicherweise nicht in derselben Reihenfolge aufgelistet, in der man letztendlich auf seinem Weg durch die Gänge an ihnen vorbei kommt.

Und natürlich kommt man beim Einkaufen auch noch auf spontane Ideen, was man auch noch (oder statt anderer Zutaten von der ursprünglichen Einkaufsliste) besorgen könnte. Auch das ist ähnlich wie beim Schreiben: Wenn einem während des Schreibens plötzlich die Idee kommt, dass es doch viel besser wäre, wenn Max sich mit einem Tarnumhang unentdeckt an den Drachen heranschleichen könnte, kann man den Schild von der Checkliste streichen und dort stattdessen den Tarnumhang notieren.

Genau wie beim Einkaufen entweder das Fassungsvermögen des Einkaufswagens (bzw. des heimischen Kühlschranks) oder aber das Haushaltsbudget das Limit des Einkaufs definieren, ist es beim Schreiben der geplante Umfang des fertigen Romans: Wenn man beim Einkaufen den Wagen schon halb voll hat, aber noch kaum etwas von seiner ursprünglichen Einkaufsliste abhaken konnte, läuft der Einkauf offenbar etwas aus dem Ruder. Dasselbe gilt fürs Schreiben: Wenn man schon mehr als die Hälfte des geplanten Umfangs seines Romans geschrieben hat und noch fast keinen der Punkte von seiner Checkliste abhaken konnte, läuft auch hier etwas ziemlich schief.

Damit einem das nicht passiert, sollte man beim Schreiben stets die aktuelle Länge seines Manuskripts im Auge behalten. Wenn man einen Roman von ca. 100.000 Wörtern (also runden 400 Normseiten) plant, und eine Checkliste mit 20 Punkten hat, die man bis zum großen Finale abhaken muss, sollte man Pi mal Daumen alle 5.000 Wörter bzw. alle 20 Seiten einen dieser Punkte als erledigt von seiner Liste streichen können.

Der große Vorteil des Checklisten-Plottings ist seine Flexibilität: Ich kann beim Schreiben improvisieren und jeder spontanen Idee folgen, solange ich dabei meine Checkliste nicht aus den Augen verliere.

Verschlägt es Max nach einem Schiffbruch in eine Hafenstadt voller zwielichtiger Gestalten, kann ich mich nach einem raschen Blick auf die Checkliste dafür entscheiden, dass Max dort den einbeinigen Drachentöter Knut trifft, von dem er viel über Drachen und ihre effektive Beseitigung erfährt. Oder vielleicht könnte Max in der Hafenstadt auf die Spuren eines unsichtbaren Einbrechers stoßen, der offenbar über einen Tarnumhang verfügt?

Solange ich weiß, welche Punkte ich bis zum großen Finale noch abhaken muss, kann ich mir jederzeit einfach den nächsten Punkt herauspicken, der sich von der logischen Entwicklung her recht gut in die Handlung einpassen ließe. Und gleichzeitig stelle ich sicher, dass sich Max nicht am Ende mit dem Schwert in der Hand in der Drachenhöhle wiederfindet und ihm noch nie jemand erklärt hat, wie man mit einer solchen Waffe kämpft oder wo sich die verwundbare Stelle des Drachen befindet. ;-)

Je nachdem, wie umfangreich Ihre Checkliste ist, ist es manchmal sinnvoll, die aktuell bereits relevanten Punkte mit einem auffälligen X am Rand zu markieren.

Wenn ich beispielsweise einen Krimi schreibe, macht der Punkt „Peter sucht im Haus von Dr. Weller nach Beweisen für seine Unschuld und findet den Geheimgang zur Kanalisation“ keinen Sinn, solange das Verbrechen nicht geschehen ist und Peter noch nicht in Verdacht geraten ist. Selbst wenn Peter Dr. Weller bereits vor dem Verbrechen kennen lernt, hätte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht den geringsten Grund, heimlich in dessen Haus einzudringen und es zu durchsuchen.

Wenn Sie also immer nur die Punkte mit einem X markieren, die zum jetzigen Zeitpunkt bereits Sinn machen, ist es wesentlich leichter, die Übersicht zu behalten. Wichtig ist allerdings, dass Sie jedes Mal, wenn Sie einen Punkt als erledigt von Ihrer Checkliste abhaken, alle noch unmarkierten Punkte durchgehen und all jene Punkte mit einem X versehen, die durch die Erreichung dieses Meilensteins relevant / akut geworden sind.

PS: Das Checklisten-Plotting lässt sich übrigens wunderbar mit der „Ja, aber…“/“Nein, und zusätzlich…“-Technik aus meinem Artikel „Eine Alternative zu klassischen Romanstrukturen“ kombinieren.


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