Defragmentieren Sie Ihren Alltag

Wenn man sich unter Schriftstellern umhört und fragt, was ihr größtes Problem beim Schreiben ist, hört man fast immer „Zu wenig Zeit“.

Es könnte alles so schön sein, wenn wir nur mehr Zeit zum Schreiben hätten. Aber unser Alltag ist nun mal so hektisch, so stressig und so geschäftig, dass uns unterm Strich kaum Zeit zum Schreiben bleibt. Woche um Woche geht ins Land, ohne dass wir am Ende der Woche maßgebliche Erfolge bei unseren aktuellen Schreibprojekten verbuchen können. Doch muss das wirklich so sein?

Wofür geht denn unsere Zeit wirklich drauf? Jeder einzelne von uns hat exakt 168 Stunden pro Woche – warum also bleibt für die meisten von uns scheinbar kaum etwas davon zum Schreiben übrig?

Selbst wenn wir die Zeiten zum Schlafen, für die Arbeit (inklusive Hin- und Rückweg), Mahlzeiten, Kochen, Haushalt et cetera abziehen, dürften den meisten von uns unterm Strich noch runde 40 Stunden verbleiben, die wir ziemlich frei aufteilen können.

Natürlich ist das beileibe nicht alles Zeit, die wir zum Schreiben verplanen können oder sollten, aber es ist die Zeit, die wir nach unseren persönlichen Vorlieben und Prioritäten zwischen Hobbys, Erholung, Sport, Zeit mit Freunden und Familie, Fernsehen, sonstigen Unternehmungen und eben auch dem Schreiben aufteilen können.

Wenn Sie mir nicht glauben, rechnen Sie selbst einmal nach. Ich würde vermuten, dass auch Sie zu einem ähnlichen Ergebnis kommen.

Doch in der Praxis kommt es uns natürlich nicht so vor, als ob wir 40 Stunden pro Woche zu unserer freien Verfügung hätten – ähnlich viel Zeit, wie die meisten von uns jede Woche im Büro bzw. auf der Arbeit verbringen.

Dass es uns so vorkommt, als ob wir wesentlich weniger Zeit zu unserer freien Verfügung hätten, liegt einerseits an einer schlechten Planung und andererseits daran, dass unser Alltag oft fürchterlich fragmentiert ist.

Mit ’schlechter Planung‘ meine ich, dass wir unsere Freizeit nicht so sorgfältig planen wie unsere Arbeitszeit. Würden wir im Büro planlos in den Tag hinein arbeiten und täten immer nur das, was uns gerade in diesem Moment spontan in den Sinn kommt, würden wir unsere Arbeit nicht geschafft bekommen und eher früher als später ziemlichen Ärger bekommen.

Aber Freizeit braucht man doch nicht zu verplanen, oder? Schließlich ist das ja die Zeit, die man zum Ausspannen und zur Erholung zur Verfügung hat – eben „freie Zeit“. Oder etwa nicht?

Wie würde in den alten Witzen Radio Eriwan antworten? „Im Prinzip ja, aber…“

Im Prinzip können Sie Ihre Freizeit rein zur Entspannung nutzen – ob das für Sie nun einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher, Ausgehen mit Freunden, lang ausschlafen oder Lesen bedeutet. Aber dann sollten Sie sich auch weder wundern noch beschweren, dass Sie scheinbar keine Zeit zum Schreiben haben.

Das Hauptproblem dabei ist unser ‚fragmentierter‘ Alltag. Den Begriff ‚fragmentiert‘ kennen Sie vermutlich in erster Linie von der Festplatte in Ihrem PC. Hier bedeutet ‚fragmentiert‘, dass große Dateien nicht am Stück gespeichert sind, sondern dass kleinere Fragmente dieser Dateien in freie Lücken auf der Festplatte gequetscht werden. Eine fragmentierte Festplatte bremst den Computer aus, da er beim Zugriff auf die Datei zig Mal zwischen unterschiedlichen Stellen auf der Festplatte hin und her springen muss, bis er schließlich die komplette Datei eingelesen hat.

Genauso ist es mit einem fragmentierten Alltag: Wenn wir nur fünf oder zehn Minuten haben, bevor wir aufbrechen müssen, bevor unsere Lieblingsfernsehsendung beginnt oder bevor das Essen auf dem Tisch steht, neigen wir dazu, diese Wartezeiten ungenutzt verstreichen zu lassen. Wenn man diese Mini-Zeitfenster über eine ganze Woche aufaddiert, kommen rasch mehrere Stunden zusammen, die einem an anderer Stelle fehlen. Daher ist es an der Zeit, unseren Alltag zu ‚defragmentieren‘.

Wenn Sie Ihre PC-Festplatte ‚defragmentieren‘ schaufelt der PC die Daten so lange hin und her und sortiert sie um, bis schließlich alle Dateien ‚am Stück‘ gespeichert sind und somit schneller gefunden und bearbeitet werden können.

Genauso können Sie Ihren Alltag ‚defragmentieren‘ und so größere, zusammenhängende Zeitfenster schaffen, die Sie zum Schreiben (oder für andere Hobbys und Aktivitäten, für die Sie ansonsten keine Zeit finden) nutzen können.

Dazu ist es erforderlich, dass Sie sich einmal pro Woche (der Sonntagnachmittag ist dafür ideal) mit einem Block und einem Stift hinsetzen und alles notieren, was Sie in der nächsten Woche machen müssen oder wollen.

Achten Sie bereits beim Notieren darauf, dass Sie ähnliche Aufgaben gruppieren/untereinander notieren. Teilen Sie das Blatt daher in verschiedene Bereiche wie Haushalt, Einkaufen, Unternehmungen, Hobby etc. auf.

Wenn Sie beispielsweise einmal wöchentlich planen, was Sie nächste Woche essen bzw. kochen wollen und was Ihnen dafür in Vorratskammer, Tiefkühltruhe oder Kühlschrank fehlt, können Sie einen Wocheneinkauf planen, mit dem Sie unterm Strich wesentlich schneller fertig sind, als wenn Sie über die Woche verteilt drei oder vier Mal loshfahren müssen, um noch schnell etwas fürs Abendessen o.ä. zu besorgen.

Alle Aufgaben, die Sie gruppieren und ‚en bloc‘ an einem Stück abarbeiten können, schaufeln nicht nur zusammenhängende Zeitblöcke frei, sondern gehen unterm Strich sogar meist schneller von der Hand, als wenn man mehrfach damit anfinge.

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Planen Sie die „Muss-Blöcke“ fest ein: Schlafen, Arbeit, den Wocheneinkauf oder notwendige Arbeiten im Haushalt. Kalkulieren Sie dafür, wie viel Zeit Sie vermutlich für die einzelnen Blöcke brauchen und planen Sie diese fest in Ihren Kalender für die nächste Woche ein.

Verplanen Sie natürlich möglichst nicht ausgerechnet die freien Zeiten für eher anspruchslose Arbeiten wie Haushalt oder Aufräumen, während derer Sie sich erfahrungsgemäß besonders ausgeruht und produktiv fühlen und vermutlich wunderbar mit dem Schreiben voran kommen könnten.

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Wenn Sie sich anschließend Ihren Terminkalender für die nächste Woche ansehen, werden Sie eine Menge großer, weißer Flächen entdecken: unverplante Zeiten.

Gerade in den ersten Wochen bekommt man bei dieser Wochenplanung dasselbe tolle Gefühl, als wenn man in der Tasche einer alten Jacke einen Fünfzig-Euro-Schein gefunden hätte, an den man schon überhaupt nicht mehr gedacht hatte.

Ach ja: Für neue Aufgaben/Tätigkeiten, die sich erst während der laufenden Woche ergeben oder die Ihnen spontan in den Sinn kommen, sollten Sie sich die „Mañana“-Haltung angewöhnen – das spanische Wort für „morgen“. Wenn es also nichts Dringendes ist, um das Sie sich wirklich schon heute oder zumindest diese Woche kümmern müssten, verschieben Sie es lieber auf nächste Woche. Schreiben Sie es auf einen Zettel, damit Sie es am Sonntag für die nächste Woche einplanen können. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich die mühsam erarbeiteten freien Zeitfenster schneller schließen, als einem lieb ist.

Verplanen Sie noch nicht die ganzen freien Zeitfenster in Ihrem Kalender, sondern bereiten Sie sich lediglich auf diese vor. Das mag auf den ersten Blick unlogisch klingen. Sollten Sie diese Zeiten nicht fest zum Schreiben oder für andere Dinge reservieren?

Können Sie, müssen Sie aber nicht. Es ist durchaus sinnvoll, sich täglich zur selben Zeit freie Zeitfenster zu schaffen und diese fürs Schreiben zu reservieren – beispielsweise eine Stunde morgens vor der Arbeit. Feste Zeiten haben den Vorteil, dass sich unser Unterbewusstsein daran gewöhnt und schon nach ein paar Wochen um diese Zeit automatisch auf ‚Kreativität‘ umschaltet.

Aber die restlichen freien Zeitblöcke sollten Sie nicht fest verplanen. Das nimmt Ihnen die Freiheit und das wundervolle Gefühl, Zeit zu haben. Wenn Sie jetzt schon alle Zeiten verplanen, haben Sie wieder das Gefühl, sieben Tage die Woche und 24 Stunden am Tag verplant zu sein. Das ist das Rezept für Stress und Frustration, nicht für Zufriedenheit und entspannte Kreativität.

Bereiten Sie sich lediglich vor, indem Sie für all Ihre Hobbys und Freizeitaktivitäten, die Sie noch nicht fest eingeplant haben, Listen mit den Dingen anlegen, die Sie während dieser Zeitblöcke gerne tun möchten.

Im Zeitblock „Lesen“ können Sie Bücher, Artikel, Blogs o.ä. notieren, die Sie bei Gelegenheit mal in aller Ruhe lesen wollen. Im Zeitblock „Draußen“ notieren Sie Dinge wie Rasenmähen, Spaziergänge, Geocaching oder andere Dinge, die Sie gerne bei gutem Wetter machen möchten. Und im Zeitblock „Schreiben“ notieren Sie alle Dinge, die Sie bei Ihren aktuellen Schreibprojekten als Nächstes angehen sollten oder die das Potential haben, Sie dabei besonders gut voran zu bringen.

Wenn Sie nun während der Woche auf einen dieser wunderbaren, unverplanten Zeitblöcke zusteuern, können Sie sich rechtzeitig überlegen, was Sie jetzt machen möchten. Wenn draußen strahlender Sonnenschein ist, haben Sie vielleicht viel mehr Lust fürs Geocaching oder zum Joggen, als sich zum Schreiben hinzusetzen – also warum sollten Sie das nicht mit gutem Gewissen tun?

Wenn es hingegen draußen schon dunkel und ungemütlich ist, Sie sich aber zu müde und erledigt zum Schreiben fühlen, können Sie mit ebenso gutem Gewissen zu Ihrer „Entspannung“-Liste greifen und sich einen der Filme von dieser Liste einlegen, den Sie schon lange nochmal schauen wollten, oder sich gemütlich mit einem guten Buch zurückziehen.

Doch wenn Sie sich produktiv fühlen und Lust zum Schreiben haben, haben Sie jetzt die Zeit und die Gelegenheit, endlich wieder mal an Ihrem aktuellen Schreibprojekt weiter zu arbeiten.

Vielleicht gibt es trotzdem Wochen, in denen Sie nicht oder kaum zum Schreiben kommen, aber dafür dennoch zu einer Menge anderer Dinge, die Sie schon lange vor sich her schieben und zu denen Sie bisher nicht gekommen waren. Auch das ist wichtig, weil es Ihnen hilft, geistigen Ballast abzubauen und offene Enden zu schließen – die Grundvoraussetzung für einen freien Kopf und die entspannte Muße, die man fürs kreative Schreiben braucht.

Probieren Sie es einfach mal ein paar Wochen lang aus. Glauben Sie mir: Sie werden den Unterschied merken und schon bald nicht mehr darauf verzichten wollen.


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