Ein würdiges Ziel für Ihren Protagonisten

Einer der wichtigsten Punkte beim Planen und Schreiben eines Romans ist, dem Protagonisten ein würdiges Ziel und eine ausreichende Motivation zu verpassen. Mit diesen beiden Punkten steht und fällt nicht nur die Glaubwürdigkeit des Romans, sondern auch die Akzeptanz beim Leser.

Im ersten Akt des Romans legen wir das Fundament für die Handlung, auf dem alles andere aufbaut. Genau wie man ein Haus bekanntlich nicht auf Sand bauen sollte, muss auch bei einem Roman das Fundament bombenfest sein, damit es die Handlung tragen kann.

Das gilt unabhängig davon, ob Sie Ihren Roman vor dem Schreiben komplett durchplanen oder ob Sie sich mit minimaler Planung kopfüber ins Schreibabenteuer stürzen.

Wenn Sie nicht gerade „literarische“ Romane schreiben (für manche Autoren eine Ausrede, um auf eine spannende oder auch nur stringente Handlung zu verzichten), sondern den Leser mit einer spannenden Handlung bei der Stange halten wollen, gibt es ein paar Fragen, die Sie zumindest für sich selbst beantworten sollten, bevor Sie auch nur „Kapitel 1“ über die erste Seite schreiben.

1. Was will Ihr Held mehr als alles andere im Laufe dieses Romans erreichen?

Natürlich hat Ihr Held im Laufe der Handlung mehrere Ziele, oft sogar eine ziemlich lange Liste von größeren Zielen über die Ziele aus Nebenhandlungssträngen bis hin zu den ‚Mini-Zielen‘, die er in einer einzelnen Szene erreichen will.

Doch in jedem Roman gibt es ein großes Ziel, um das sich der zentrale Konflikt des Romans rankt und das die große Frage des Lesers definiert: „Wird der Protagonist es schaffen, […]?“

Ein solches Ziel kann so ziemlich alles sein – es darf nur nicht zu einfach zu erreichen sein. Denn wenn es das wäre, wäre der Roman nicht nur langweilig, sondern auch verdammt schnell zu Ende.

Ob also Ihr Protagonist den Drachen töten, seine Traumfrau für sich gewinnen, ein Heilmittel gegen den Krebs entwickeln oder seine Firma vor dem drohenden Konkurs retten will – es muss das Potential haben, einen ganzen Roman zu tragen.

Und es muss dem Leser glaubwürdig erscheinen, dass er dieses Ziel unbedingt erreichen will. Womit wir auch schon beim nächsten Punkt bzw. der nächsten Frage wären.

2. Warum will (oder muss) Ihr Held dieses Ziel unbedingt erreichen?

Während Sie im ersten Akt das Ziel Ihres Protagonisten definieren, stellen Sie ihn und seine Entschlossenheit vom zweiten Akt an mit jeder neuen Herausforderung immer mehr auf die Probe – bis hin zum dunkelsten Moment und schließlich dem großen Finale.

Der Druck auf Ihren Helden wird immer größer, genau wie die Probleme, Hindernisse und Rückschläge, mit denen Sie ihn konfrontieren.

Fragen Sie sich also selbst: Warum schmeißt er nicht einfach die Brocken hin und gibt auf? Je größer die Gefahr, je schmerzlicher die Verluste und Rückschläge sind, desto größer muss auch die Motivation Ihres Protagonisten sein, trotz aller Widerstände und Hindernisse mit eiserner Entschlossenheit durchzuhalten.

Ist die Motivation Ihres Helden nicht ausreichend oder für den Leser nicht klar ersichtlich, wird der Leser die Handlung als unglaubwürdig abtun.

Fragen Sie sich daher sowohl, was Ihr Protagonist mit der Verfolgung seines Ziels riskiert, was er zu gewinnen/erreichen hofft und was die Konsequenzen wären, wenn er sein Ziel nicht erreicht, sondern scheitert oder aufgibt.

Nehmen wir als Beispiel das Fantasy-Klischee schlechthin: Der Held zieht aus, um den Drachen zu töten.

Was riskiert der Held dabei? Zunächst mal könnte er vom Drachen geröstet, zerfleischt oder auf sonstige unerfreuliche Weise vom Leben zum Tode befördert werden. Vielleicht muss er auf dem Weg zum Drachen auch verschiedene gefährliche Gebiete durchqueren und am Schluss sogar noch einen steilen Berg erklimmen, an dessen Gipfel sich die Höhle des Drachen befindet. Was zusätzlich auch noch den ‚Vorteil‘ hätte, dass der edle Ritter den Berg nur ohne seine schwere, klobige Rüstung erklettern kann und er sich dem Drachen somit ohne schützende Rüstung und nur mit seinem Schwert bewaffnet stellen muss.

Je größer die Risiken und Gefahren sind, die sich der Held schon am Anfang ausrechnen bzw. ausmalen kann, desto größer muss seine Motivation sein, sich überhaupt auf ein solches Abenteuer einzulassen.

Also: Was will der Held damit erreichen, dass er den Drachen tötet? Will er ganz altruistisch nur das geplagte Land von der Bestie befreien? Nicht sehr glaubwürdig. Hat er gehört, dass der Drache einen gewaltigen Goldschatz in seiner Höhle bewacht? Hat ihm der verzweifelte König die Hand seiner Tochter und das halbe Königreich versprochen, wenn er es schafft, den Drachen zu töten? Oder wird dem Drachen alle paar Monate eine Jungfrau geopfert, um ihn friedlich zu stimmen – und zur nächsten Sonnenwende soll die Angebetete des Helden dem Drachen geopfert werden?

Mir gefällt die dritte Variante am besten – zumal sie durch den zusätzlichen Zeitdruck die Spannung erhöht. Wenn der Held nur noch eine Woche Zeit hat, muss er sich Hals über Kopf ins Abenteuer stürzen, ohne seine Expedition gründlich vorzubereiten und für den Kampf gegen den Drachen zu trainieren.

Bleibt die letzte Frage: Was würde passieren, wenn der Protagonist scheitert oder gar aufgibt?

Der Goldschatz in der Höhle wirkt auf einmal gar nicht mehr so verlockend, wenn man angeschlagen und erschöpft vor der Höhle des Drachen steht und weiß, dass man diesen Kampf höchstwahrscheinlich nicht überleben wird. Was nützt einem das ganze Gold, wenn man tot ist? Die Konsequenz für ein Scheitern im Kampf wäre also der Tod des Protagonisten. Gibt er hingegen vorher auf, weil ihn der Mut verlässt oder er einsieht, dass das Risiko einfach zu groß ist, hat das kaum Konsequenzen. Gut, ohne den Schatz ist er genauso arm wie vorher – aber was macht das schon?

Wenn Sie also die Variante mit dem Schatz bevorzugen, müssen Sie Ihrem Helden ein verdammt gutes Motiv liefern, warum er den Schatz unbedingt braucht – und zwar so sehr, dass er dafür bereitwillig sein Leben aufs Spiel setzt.

Da ist die Variante, bei der die Traumfrau des Helden in wenigen Tagen dem Drachen geopfert werden soll, schon besser: Egal ob er im Kampf gegen den Drachen stirbt oder vorher kneift, wird seine Freundin Drachenfutter und das Land wird weiterhin vom Drachen terrorisiert. Wahre Liebe ist eine weitaus bessere Motivation als schnöder Mammon.

Noch besser ist es allerdings, mehrere Motivationen miteinander zu verbinden. Niemand liest einen Roman, um den Helden „nicht verlieren zu sehen“. Man schaut auch kein Fußballspiel und keinen Boxkampf, um das eigene Team / den eigenen Favoriten nicht verlieren zu sehen. Man will kein halbherziges Unentschieden, sondern einen klaren Sieg. Dasselbe gilt auch für eine Romanhandlung.

Oft ist es ja so, dass in Akt 1 des Romans das geregelte Leben des Protagonisten durch den Plan des Antagonisten gründlich durcheinander gewirbelt / ins Ungleichgewicht gebracht wird, und der Protagonist nun versucht, alles wieder in Ordnung zu bringen.

Doch wenn er es schafft und sich am Ende wieder in derselben Situation wie zu Beginn befindet – was hat er dann unterm Strich gewonnen?

Wenn wir unserem Protagonisten also ein Ziel vom Typ „alles wieder in Ordnung / ins Gleichgewicht bringen“ geben, sollten wir ihm auch die Möglichkeit geben, dabei etwas zu „gewinnen“.

Das muss weder ihm noch dem Leser von Anfang an bekannt sein – oft tut sich die Chance, alles ins Gegenteil zu verkehren, sogar erst im letzten Akt auf.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Science-Fiction-Film „Freejack“ mit Emilio Estevez, Mick Jagger und Anthony Hopkins. Der Protagonist Alex wird in die Zukunft entführt, damit das Bewusstsein eines sterbenden Milliardärs in seinen gesunden Körper übertragen werden kann. Ihm gelingt zwar die Flucht, doch nun ist er auf der Flucht vor den Kopfgeldjägern, die ihn abliefern wollen, und den Killern eines Unbekannten, der verhindern will, dass der sterbende Milliardär einen neuen Körper erhält und so weiter lebt.

Am Ende (Achtung: Spoiler!) gelingt es Alex, mit Hilfe des Kopfgeldjägers alle davon zu überzeugen, dass das Bewusstsein des Milliardärs erfolgreich in seinen Körper übertragen wurde. Dieses wurde in Wahrheit jedoch gelöscht und stellt somit keine Gefahr mehr dar. Der Auftraggeber der Killer wird ausgeschaltet und Alex übernimmt das Vermögen und offiziell auch die Identität des toten Milliardärs.

Freejack ist für mich einer der Filme, die einen am Schluss mit einem breiten, zufriedenen Grinsen zurücklassen. Der Held ist nicht nur mit dem Leben davon gekommen, sondern steht sogar besser da als je zuvor.

Überlegen Sie daher, ob Sie diesen Effekt auch auf Ihre Romanhandlung anwenden könnten. Ein guter Ansatz ist die Frage, wer der größte Widersacher Ihres Protagonisten ist. Was könnte Ihr Protagonist von ihm erbeuten / ihm abluchsen, das die Situation am Ende grundlegend ändert? Oder wie können Sie das bisherige Über-/Unterlegenheits-Verhältnis zwischen beiden ins Gegenteil verkehren?

Denken Sie beispielsweise an „Zurück in die Zukunft„: Wird George McFly zu Beginn des ersten Films noch von Biff Tannen unterdrückt und ausgebeutet, wird durch die Abenteuer seines Sohns Marty McFly in der Vergangenheit am Ende alles ins Gegenteil verkehrt: George McFly ist nun ein erfolgreicher Schriftsteller und Biff Tannen nur noch sein diensteifriger, untertäniger Handlanger.

Vielleicht finden Sie ja auch etwas, das Ihr Antagonist besitzt (oder das Sie ihm extra zu diesem Zweck verleihen können), das Ihrem Protagonisten viel eher zustehen würde? Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf – es lohnt sich.


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