„Enjoy the ride“ oder: Der Weg ist das Ziel

Es ist eine verbreitete Unsitte, sich in Gedanken mehr mit der Zukunft als mit der Gegenwart zu beschäftigen. Während wir unser aktuelles Buch schreiben, beschäftigen wir uns in Gedanken schon mit dem nächsten Projekt – oder zumindest mit dem Coverdesign, dem Videotrailer oder dem Marketing-Plan für das Buch, das wir gerade schreiben. Nichts gegen eine solide Vorplanung – aber man sollte, wie die alte Redensart so schön sagt, das Fell des Bären erst dann verkaufen, wenn man ihn bereits erlegt hat.

Wenn man sich gedanklich bereits zu sehr mit den nächsten Schritten oder gar dem nächsten Projekt beschäftigt, steigert das unsere Ungeduld. Es führt dazu, dass wir nicht mehr schreiben wollen, sondern lieber bereits geschrieben haben wollen.

Beim Schreiben eines Buchs gilt ebenso wie bei allen anderen zeitaufwändigen und langfristigen Projekten: Der Weg ist das Ziel. Wer nicht in der Lage ist, den Weg (also das Hier und Jetzt) zu genießen, sondern stets ein Auge in der Zukunft hat und daher ständig enttäuscht ist, dass das Ziel noch nicht erreicht (bzw. noch nicht einmal in greifbarer Nähe) ist, hat auf lange Sicht erheblich schlechtere Chancen, bis zum erfolgreichen Abschluss des Projekts durchzuhalten, als jemand, der seine Arbeit genießen und als Selbstzweck empfinden kann.

Wer immer nur auf das Ziel starrt, kann den Weg dorthin nicht genießen, sondern empfindet ihn eher als ein lästiges Hindernis auf dem Weg zum ersehnten Ziel. Natürlich ist ein gelegentlicher Blick in Richtung Ziel wichtig, um sicher zu stellen, dass wir uns noch auf dem richtigen Kurs befinden. Aber schneller kommt man dadurch auch nicht an – genauso wenig, wie die Familie auf dem Weg in den Urlaub schneller ankommt, wenn die Kinder nur oft genug quengeln „Sind wir gleich da?“

Es ist wie mit der Geschichte aus dem alten Griechenland, in der ein Wanderer einen Philosophen fragte: „Wie komme ich am schnellsten zum Olymp?“ Der Philosoph lächelte und antwortete: „Indem du sicher stellst, dass jeder deiner Schritte dich in die richtige Richtung führt.“

Genauso ist es mit dem Schreiben. Auch hier gibt es keine Abkürzung zum Ziel, die uns wie ein Wurmloch im Weltraum ohne Zeitverlust direkt ans Ziel führt. Wir können lediglich zusehen, dass wir auf dem Weg zum Ziel – also zum fertigen Buch – keine unnötigen Umwege machen.

Die einzelnen Phasen, von der soliden Planung und Recherche über das Schreiben der Rohfassung bis hin zu den einzelnen Revisions-Durchgängen, können wir nicht abkürzen – jedenfalls nicht, ohne die Qualität des fertigen Buchs dadurch zu gefährden.

Da wir diesen Weg also ohnehin zurücklegen müssen, tun wir gut daran, ihn zumindest zu genießen – und zwar jede der unterschiedlichen Etappen. Natürlich hat jeder Autor seine persönlichen Vorlieben, welche Phasen eines Projekts er am liebsten mag und welche er am liebsten überspringen oder von jemand anders erledigen lassen würde.

Manche Autoren lieben die Planung und das Worldbuilding und können sich geradezu in den Tiefen ihrer virtuellen Romanwelten verlieren, bevor sie auch nur die erste Seite ihres eigentlichen Manuskripts geschrieben haben, während andere diesen Gedanken eher schaurig finden und sich viel lieber Hals über Kopf ins Schreiben einer neuen Idee stürzen möchten, um sich gemeinsam mit ihrem Protagonisten überraschen zu lassen, in welche Richtung sich die Handlung wohl entwickelt. Manche Autoren lieben es, Geschichten zu schreiben und dabei ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen – aber die eher strukturierte, logische Überarbeitung ist ihnen ein Graus. Andere sind froh, wenn sie endlich die lästige Rohfassung fertig geschrieben haben und sich endlich daran machen können, diese wie ein Diamantenschleifer zu bearbeiten und sie nach und nach auf Hochglanz zu polieren.

Am besten ist immer derjenige Autor dran, der jeder Phase der Entstehung seines Romans etwas Positives abgewinnen und diese aufrichtig genießen kann. Wenn einem die Arbeit Spaß macht, fühlt sie sich nicht mehr wie Arbeit an – und als positive Nebenwirkung wird zugleich auch die Qualität der Ergebnisse besser, als wenn man sie als lästige Pflicht betrachtet, die man so schnell wie möglich „abhaken“ möchte.

Beschränken Sie daher Ihren „Blick in die Zukunft“ auf einen gelegentlichen Kursabgleich und heben Sie sich später kommende Arbeitsschritte oder gar völlig neue Projekte für später auf – später, wenn Sie Ihr laufendes Projekt erfolgreich abgeschlossen haben.


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