Tag-Team-Plotting: Mit ungewöhnlichen Kombinationen zu einer spannenden Romanhandlung

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht – aber ich habe recht häufig beim Lesen neuer Romane so ein Deja-Vu-Erlebnis, genau dasselbe in etwas anderer Form schon einmal gelesen zu haben. Und meist nicht nur einmal. Gerade bei Genre-Romanen überkommt einen sehr häufig das ungute Gefühl, dass die Hauptfiguren inklusive ihrer Motivation und den wichtigsten Konflikten aus anderen Romanen oder Filmen übernommen und nur oberflächlich abgewandelt wurden.

Das ist in den meisten Fällen nicht einmal böse Absicht des Autors. Es ist wie mit den Werbespots, die wir hunderte von Malen in Funk und Fernsehen gehört haben und deren Slogans wir sogar im Halbschlaf noch komplettieren könnten: „Douglas: Come in and…“ (find out). „BMW: Freude am…“ (Fahren). „Opel: Wir haben…“ (verstanden).

Genauso ist es bei Romanen: Wenn ich Ihnen jetzt die Aufgabe stellen würde, eine Romanhandlung zu skizzieren, in der ein mutiger Schwertkämpfer und eine schöne Magierin gegen einen finsteren Schwarzmagier mit Weltherrschafts-Ambitionen und seinen Handlanger, einen hünenhaften Drachenritter in schwarzer Rüstung, antreten sollen, könnten Sie bestimmt innerhalb einer halben Stunde etliche Ideen für Szenen, Konflikte und den finalen Showdown aufs Papier werfen. Doch wenn Sie anschließend diese Notizen kritisch hinterfragen: Wie viele dieser Ideen wären wirklich innovativ und originell und nicht in anderen Büchern oder Filmen schon dutzendfach da gewesen?

Das Problem liegt in den Zutaten, die wir miteinander kombinieren. Wenn uns jemand Nudeln, Tomatenmark, Sahne und Hackfleisch gibt, wird vermutlich so etwas wie Spaghetti Bolognese dabei heraus kommen. Doch was würden Sie aus Lachs, Sonnenblumenkernen, Kartoffeln und Schinken machen? Hier gibt es keine direkte Assoziation, sondern Sie müssen erst einmal nachdenken, was von diesen vier Zutaten man wie miteinander kombinieren könnte. Und genau dasselbe machen wir beim Tag-Team-Plotting.

„Gib Klischees keine Chance!“

Die Bezeichnung „Tag-Team-Plotting“ ist eine scherzhafte Referenz zum Wrestling: Dort treffen bei einem Tag-Team-Match zwei Teams aus je zwei Wrestlern aufeinander, von denen allerdings immer nur einer gleichzeitig im Ring ist. Gerade bei Tag-Teams, die nur für ein bestimmtes Match zusammengewürfelt werden, kommen oft sehr ungewöhnliche Kombinationen aus ganz gegensätzlichen Kämpfern zustande. Und genau diesen Punkt machen wir uns beim Tag-Team-Plotting für Romane zunutze.

Die Vorbereitungen für das Tag-Team-Plotting wirken vielleicht ein wenig aufwändig, doch die Arbeit lohnt sich. Da man als Schriftsteller üblicherweise nicht nur einen einzigen Roman in einem bestimmten Genre schreiben will, kann man bei weiteren Projekten auf die bereits vorbereitete Basis zurückgreifen und im Handumdrehen neue ungewöhnliche Tag-Teams aus dem Hut zaubern.

Aber fangen wir doch einfach mit dem ersten Schritt an…

Was brauchen Sie?

Für das Tag-Team-Plotting brauchen Sie ein ganz normales Kartenspiel (2-10, Bube, Dame, König und As, jeweils in Herz, Karo, Pik und Kreuz). Einen solchen Satz Spielkarten dürften die meisten von uns irgendwo im Schrank oder in der Schublade liegen haben – und wenn nicht, bekommen Sie sie in jedem Spielwarengeschäft oder Supermarkt.

Dazu brauchen Sie noch einen Stift und drei unterschiedliche Formblätter: die Kartenliste, das Brainstorming-Blatt und das Tag-Team-Blatt. Druckvorlagen für diese Blätter finden Sie hier:

Step 1: Der Charakter-Fundus

Im ersten Step brauchen Sie nur die Kartenliste. Da ein Kartenspiel aus 52 Karten besteht, haben Sie auf Ihrer Kartenliste Platz für 52 Charakter-Ideen. Bevor Sie nachher zum ersten Mal das eigentliche Kartenspiel brauchen, notieren Sie zunächst in die 52 Felder der Kartenliste ebensoviele Ideen für Charaktere, die zu Ihrem Genre passen könnten.

Es geht dabei nur um „Berufe“ im weiteren Sinne, nicht um konkrete Eigenschaften. Wenn Sie Fantasy schreiben, könnten Ihre ersten Ideen „Klassiker“ (andere würden sagen: Klischees) wie Barbar, Paladin, Amazone, Schwarzmagier, Drachenreiter, Assassine oder Fährtensucher sein. Doch mit diesen abgegriffenen Rollen können Sie schwerlich alle 52 Plätze Ihres Charakter-Fundus füllen.

Ich weiß: 52 ist eine hohe Anzahl – aber ich lasse Sie nicht eher vom Haken, bis Sie nicht alle 52 Felder mit Ideen gefüllt haben. Sie schaffen das… ;-)

Je mehr sich die Liste füllt, desto schwerer wird es Ihnen fallen, auf neue Ideen zu kommen. Das ist nicht nur ganz normal, sondern auch erwünscht. Denn erfahrungsgemäß sind die letzten 10-20 Ideen, die Sie eintragen, die Arten von Charakteren, die man noch nicht im Überfluss in anderen Romanen oder Filmen gesehen hat.

Step 2: Die Ziehung der Lottozahlen Kandidaten…

Sobald Sie mit Ihrer Liste fertig sind, gehen Sie zum nächsten Schritt über: Mischen Sie Ihr Kartenspiel gut durch, ziehen Sie vier zufällige Karten und legen Sie diese offen vor sich aus. Die Kartenliste ist dabei Ihre Übersetzungstabelle, die Ihnen verrät, wer Ihre Kandidaten für die Tag-Teams sind.

Für unser Beispiel sagen wir, dass Sie die Pik 7, die Herz 2, den Herz-Buben und das Kreuz-As gezogen haben. Laut Ihrer Tabelle steht die Pik 7 für einen Schmuggler, Herz 2 für einen Sklavenhändler, der Herz-Bube für einen Adligen und das Kreuz-As für einen Totenbeschwörer.

Schreiben Sie diese vier Kandidaten als A, B, C und D untereinander auf ein Blatt. Dabei ist noch nicht gesagt, welche der Charaktere männlich oder weiblich, jung oder alt, gut oder böse sind. Noch ist alles offen.

Step 3: Held oder Schurke?

Drucken Sie nun für jeden der vier Charaktere ein Exemplar des Brainstorming-Blatts aus: Oben tragen Sie den „Beruf“ des jeweiligen Charakters ein, darunter machen Sie in den Spalten „Held…?“ und „oder Schurke…?“ Notizen, inwiefern eine solche Figur im Rahmen einer Romanhandlung auf der „guten“ oder der „bösen“ Seite stehen könnte.

Natürlich ist es manchmal nicht ganz einfach, für Charaktere wie einen Sklavenhändler oder einen Totenbeschwörer Ideen zu finden, wie eine solche Figur zum Helden werden könnte – aber das ist ja gerade das Interessante daran. Schließlich wollen wir abgegriffene Klischees vermeiden – und für wirklich gute Ideen muss man schon mal etwas tiefer graben.

Nehmen Sie sich für jede Figur mindestens eine halbe Stunde Zeit, um alle Möglichkeiten auszuloten und das Potential der Figur zu ergründen. Hören Sie keinesfalls auf, bevor Sie nicht auch für die „typischen Guten“ eine mögliche Schurkenrolle und für die „typischen Schurken“ eine mögliche Heldenrolle entwickelt haben.

Ein guter Sklavenhändler? Wenn Ihnen das abwegig vorkommt, denken Sie nur an einen der Klassiker der Weltliteratur: Robinson Crusoe. Auch Crusoe war ein Sklavenhändler, bevor er auf der einsamen Insel strandete und dort zu einem besseren Menschen wurde.

Und ein Totenbeschwörer? Hm, was ist zum Beispiel Ned aus der amüsanten TV-Serie „Pushing Daisies“ anderes als ein Totenbeschwörer? Auch er hat die Fähigkeit, Tote für kurze Zeit wieder zum Leben zu erwecken – und es ihnen wieder zu nehmen. Denn wenn er das nicht tut, stirbt irgendwo in der Nähe ein anderer Mensch an dessen Stelle.

Step 4: Let’s get ready to rumble…

Wenn Sie genügend Ideen für alle vier Charaktere gesammelt haben, lassen Sie diese erstmals aufeinander treffen. Mit vier Charakteren gibt es sechs mögliche Varianten, die im Tag-Team-Blatt untereinander aufgelistet sind. Unter jeder der sechs möglichen Variationen haben Sie genügend Platz, um mit knappen Stichworten die Eckdaten einer möglichen Romanhandlung zu notieren.

Im ersten „Match“ lassen Sie die guten Versionen Ihrer Charaktere A und B auf die bösen Versionen Ihrer Charaktere C und D treffen:

  • Was hat „Held A“ gegen „Schurke C“? Und welche offene Rechnung hat er mit „Schurke D“? Wie könnten diese Charaktere in einem erbitterten Konflikt aneinander geraten? Stellen Sie anschließend dieselben Fragen auch noch für Ihren „Held B“.
  • Was haben Ihre beiden „Helden“ gemeinsam – oder was könnten sie gemeinsam haben? Welche Konflikte dürfte es trotz gemeinsamer Interessen zwischen ihnen geben und wie könnten sie dennoch an einem Strick ziehen?
  • Was haben Ihre beiden „Schurken“ miteinander zu tun? Agieren sie unabhängig voneinander oder arbeiten sie zusammen? Was haben die beiden von dieser Zusammenarbeit und welche Stärken kann jeder der beiden mit einbringen, die der andere nicht hat?

Diese Fragen sind nur als erste Anregungen gedacht. Die Bandbreite solcher Tag-Teams ist fast unbegrenzt. So könnte jeder Ihrer beiden Helden ursprünglich seinen eigenen Feind haben – doch als beide erkennen müssen, dass ihre Feinde in Wahrheit miteinander verbündet sind, schließen auch sie sich zusammen, um mit vereinten Kräften das Böse aufzuhalten.

Nehmen Sie sich für diese Variante mindestens 15 Minuten Zeit, um auf dem Tag-Team-Zettel Stichwörter und Ideen für eine mögliche Romanhandlung zu notieren.

Erst danach gehen Sie zur nächsten Variante über. Wenn Sie sich für jedes „Match“ 15 Minuten Zeit nehmen, haben Sie nach anderthalb Stunden das grobe Gerüst für sechs unterschiedliche Romanhandlungen skizziert. Jetzt können Sie abwägen und entscheiden, welche der Varianten ausscheiden, da sie Ihnen nicht gefallen, und welche Sie weiter ausarbeiten wollen.

Probieren Sie es einfach einmal aus. Sie werden sehen: durch die große Anzahl unterschiedlicher Charaktere und dadurch, dass Sie gezwungen sind, jede Figur sowohl von ihrer hellen als auch ihrer dunklen Seite zu betrachten, vermeiden Sie, dass Sie sich mit Ihrer Handlung unbewusst auf ausgetretenen Pfaden halten.

Alles in allem dürften Sie nicht mehr als 5-6 Stunden (also gerade mal einen Nachmittag) brauchen, um so ein erstes Konzept für eine spannende Romanhandlung zu erschaffen. Und wenn Sie anschließend noch mehr Ideen brauchen, um das Konzept zu einer vollständigen Handlung auszubauen, können Sie immer noch zur Assoziativen Ideen-Matrix aus „Kreativ mit der Matrix“ greifen.


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