Tipps für den NaNoWriMo 2017

In drei Tagen beginnt der diesjährige NaNoWriMo – der „National Novel Writing Month“, bei dem im Laufe des Novembers wieder einmal hunderttausende Schriftsteller und Hobbyautoren aus aller Welt versuchen werden, innerhalb von gerade mal 30 Tagen die erste Fassung eines neuen Romans von mindestens 50.000 Wörtern (also ca. 200 Normseiten) zu schreiben.

Falls auch Sie in diesem Jahr mit dabei sind und vorhaben, zu den erfahrungsgemäß weniger als 20% zu gehören, die es tatsächlich über die Ziellinie schaffen, habe ich ein paar kleine Tipps für Sie zusammengestellt.

Schaffen Sie sich Freiräume zum Schreiben

Teilen Sie Ihrer Familie und Ihren Freunden rechtzeitig mit, dass Sie im November so ziemlich jede freie Minute ins Schreiben Ihres neuen Romans stecken müssen und daher während der nächsten Wochen für gemeinsame Freizeitaktivitäten nicht zur Verfügung stehen werden.

Vereinbaren Sie mit Ihren Lieben, dass sich im November jeder von ihnen mehr Zeit für seine Hobbys nimmt – egal ob das Lesen, Puzzles oder das Bingewatching ganzer Serienstaffeln über Netflix oder Amazon Prime ist. Die Hauptsache ist, dass diese Hobbys nicht Ihre Beteiligung erfordern. ;-)

Verschieben Sie alle anderen Vorhaben, Unternehmungen und Pläne auf den Dezember und nehmen Sie sich für den November nichts anderes vor, als die Rohfassung Ihres neuen Romans fertigzustellen.

Sehen Sie den NaNoWriMo aus der richtigen Perspektive

Fakt ist: es geht nicht darum, innerhalb von 30 Tagen einen veröffentlichungsreifen Roman zu schreiben. Das Ziel ist lediglich, eine grobe Rohfassung zu Papier bzw. in den Computer zu bringen. Das ist ein gewaltiger Unterschied.

Wenn man zügig schreibt, kann man die anvisierten 50.000 Wörter in weniger als 50 Stunden schaffen. Für eine fertig überarbeitete, veröffentlichungsreife Normseite muss man hingegen mindestens 60 Minuten rechnen, was bei 50.000 Wörtern (also ca. 200 Normseiten) auf mindestens 200 Stunden hinaus liefe.

Da Sie im November wohl kaum 200 Stunden zum Schreiben abzweigen können (was einer runden 50-Stunden-Woche entspräche), sollten Sie sich nicht mehr als eine Rohfassung vornehmen, die ruhig so grottenschlecht und holprig sein darf, wie sie will. Auch die schlechteste Rohfassung kann man später noch in aller Ruhe überarbeiten und ausfeilen.

Schauen Sie also beim Schreiben niemals zurück und korrigieren Sie nichts – nicht einmal die übelsten Rechtschreibfehler oder Buchstabendreher, die Ihnen schon während des Schreibens direkt ins Auge springen. Der einzige Weg zum Ziel führt vorwärts und korrigieren können Sie immer noch, sobald Sie (nach mindestens 50.000 Wörtern) das magische Wörtchen ENDE unter das letzte Kapitel geschrieben haben.

Schaffen Sie die Grundlagen, um überall schreiben zu können

Ketten Sie sich zum Schreiben nicht an Ihren Computer. Selbst wenn Sie an Ihrem großen Desktop-PC mit der mechanischen Tastatur am besten und am schnellsten schreiben können, sollten Sie sich nicht darauf beschränken.

Mit einem Laptop oder Netbook können Sie auch abends in der Couch oder während der Mittagspause an Ihrem Roman schreiben – alles Zeiten, die Sie nicht richtig nutzen könnten, wenn Sie sich nur auf Ihren Desktop-PC beschränken. Dank Synchronisierungs-Diensten wie Dropbox, Google Drive oder OneDrive können Sie Ihr Manuskript über mehrere Rechner hinweg auf dem aktuellen Stand halten und sogar von Ihrem Tablet oder Smartphone aus an Ihrem Manuskript arbeiten.

Oder Sie schreiben direkt in der Cloud, indem Sie zum Schreiben eine Online-App wie Google Docs oder die Online-Version von Word nutzen, die Sie von jedem PC mit Internetzugang aus nutzen können. Sie entscheiden, was für Sie die beste Option darstellt. Die Hauptsache ist, dass Sie jede freie Minute und jede sich bietende Gelegenheit zum Schreiben Ihres Romans nutzen können. Denn je besser Sie von Anfang an voran kommen, desto weniger Stress und Zeitdruck haben Sie Ende des Monats, wenn es auf die Zielgerade zu geht.

Reservieren Sie feste Zeiten fürs Schreiben

Auch wenn Sie, wie im letzten Tipp erwähnt, während des Novembers jede sich bietende Gelegenheit nutzen sollten, um ein paar Sätze oder ein paar Seiten an Ihrem Roman weiter zu schreiben, sollte der Kern Ihrer NaNoWriMo-Planung dennoch aus fest eingeplanten Schreibzeiten bestehen.

Sie selbst kennen Ihre eigene Schreibgeschwindigkeit am besten. Schaffen Sie in der Stunde im Schnitt 500, 1.000, 1.500 oder gar bis zu 2.000 Wörter Rohfassung? Wenn es bei mir gut läuft, liege ich meist irgendwo zwischen 1.000 und 1.500 Wörtern, aber ich kenne Autoren, die beim Schreiben ihrer Rohfassung konstant die 2.000er-Marke knacken. Im Prinzip ist das kein Hexenwerk – gerade mal 34 Wörter pro Minute, aber als konstante Marathon-Leistung dennoch sehr beeindruckend.

Wichtig ist, dass Sie Ihre eigene Schreibgeschwindigkeit realistisch einschätzen und dementsprechend viel (oder wenig) Zeit für Ihr Manuskript reservieren. Bei 500 Wörtern pro Stunde brauchen Sie 100 Stunden für Ihre Rohfassung, bei 2.000 gerade mal 25. Für die meisten von uns liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.

Sagen wir, dass Sie mit im Schnitt 1.000 Wörtern Rohfassung pro Stunde gut im Rennen liegen und daher 50 Stunden für das Schreiben Ihrer Rohfassung einplanen müssen. Das sind 12 Stunden pro Woche – etwas mehr, wenn Sie einen gewissen Puffer für Unvorhergesehenes einplanen. Manchmal kommt man nicht wie geplant zum Schreiben, manchmal geht es nicht so gut voran wie geplant und vielleicht stellen Sie fest, dass Sie mit 50.000 Wörtern für Ihre Romanhandlung nicht ganz auskommen.

Sagen wir, dass Sie morgens eine halbe Stunde vor der Arbeit schreiben, eine Stunde abends und an den freien Wochenendtagen jeweils fünf Stunden. Das macht pro Woche gute 17 Stunden oder auf den kompletten November hochgerechnet ca. 75 Stunden – in jedem Fall mehr als genügend Zeit für Ihre Rohfassung.

Nutzen Sie die natürliche Wocheneinteilung für die Struktur Ihres Romans

Um etwas Struktur in den NaNoWriMo zu bringen, kann man die vier Akte eines Romans auf die Kalenderwochen des Novembers verteilen. Dieses Jahr sähe das folgendermaßen aus:

01.11 – 05.11: Akt 1
06.11 – 12.11: Akt 2
13.11 – 19.11: Akt 3
20.11 – 26.11: Akt 4

Diese Aufteilung hat den Vorteil, dass Sie das Wochenende (an dem man ohnehin üblicherweise mehr Zeit als während der Woche hat) jeweils zum Abschließen und Komplettieren eines Akts hat. Wenn man sich an diese Struktur hält, stellt man sicher, dass man Ende November wirklich eine in sich abgeschlossene Romanhandlung hat und nicht jenseits der 50.000 Wörter immer noch irgendwo im dritten Akt festhängt.

Der zweite Vorteil ist, dass Sie mit dieser Einteilung bereits am 26.11 mit der Rohfassung Ihres Romans fertig sind. Wenn Sie also dann feststellen, dass Sie noch irgendwo ein paar Szenen ergänzen oder ausbauen müssen, um über die 50.000 Wörter zu kommen, haben Sie dafür immer noch bis zu vier Tage Zeit.

Der einzige Nachteil ist in diesem Jahr, dass Sie mit dieser Aufteilung für den ersten Akt nur fünf statt sieben Tage zur Verfügung haben. Doch erstens kommt man Anfangs ohnehin besonders gut voran und zweitens macht es gar nichts, wenn der erste Akt etwas kürzer ausfällt als die anderen drei Akte. Das bedeutet nur, dass Ihre Handlung schneller Fahrt aufnimmt. Ihre späteren Leser werden es Ihnen danken.

Wenn Sie nach dem Kalenderwochen-Modell vorgehen wollen, bedeutet das allerdings, dass Sie von Anfang an mehr als die statistischen 1.667 Wörter pro Tag (= 50.000 Wörter / 30 Tage) schreiben müssen. Versuchen Sie in diesem Fall, mindestens 2.000 Wörter pro Tag zu schreiben, um gut im Rennen zu liegen und mit dem Ende des vierten Akts auch tatsächlich über der magischen 50.000-Wörter-Marke zu landen.

Nutzen Sie die letzten Oktobertage für die Vorplanung

Nur weil man erst am 01.11 mit dem eigentlichen Schreiben der Rohfassung beginnen darf, bedeutet das natürlich noch lange nicht, dass man vorher nicht an der Planung seines Romans arbeiten dürfte.

Dieses Jahr bietet sich für einen kurzen Planungs-Block for dem eigentlichen NaNoWriMo besonders gut an: Dadurch, dass dank des Luther-Jahrs der 31.10 diesmal in allen Bundesländern ein gesetzlicher Feiertag ist und viele von uns sich auch noch den Montag als Brückentag genommen haben, haben wir (inklusive heute) noch bis zu drei freie Tage für die Vorbereitung unseres Romans zur Verfügung.

Nutzen Sie diese Zeit, um Ihre Charaktere und Ihre Romanwelt besser kennenzulernen und sich zu überlegen, was alles passieren könnte. Je besser Sie Ihre Charaktere und Ihre Romanwelt kennen, desto leichter und besser können Sie später beim Schreiben improvisieren, ohne sich selbst und Ihrer ursprünglichen Idee untreu zu werden.

Sehr nützlich ist auch eine intensive Brainstorming-Session, was alles zwischen dem geplanten Anfang Ihres Romans und dem anvisierten Ende passieren könnte. Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf und setzen Sie sich als Ziel, mindestens hundert Ideen für mögliche Szenen zu Papier zu bringen. Je mehr, desto besser. Selbst wenn nicht alles davon zusammen passt und Sie viele Dinge im Nachhinein als unsinnig, zu abgegriffen und klischeehaft oder als zu weit hergeholt verwerfen werden, sorgen Sie auf diese Weise für mehr als genügend „Baumaterial“ für Ihren Roman.

Wer es sich einfacher machen will, greift in dieser Phase zur Assoziativen Ideen-Matrix aus meinem Buch „Kreativ mit der Matrix“ (http://warpco.de/Matrix), mit der Sie innerhalb weniger Stunden mehr als genügend Rohmaterial für einen ganzen Roman aus dem Ärmel schütteln können. Viele von Ihnen kennen das Buch vermutlich bereits und nutzen die AIM-Technik vielleicht sogar schon bei der Planung Ihres NaNoWriMo-Romans – falls jedoch nicht, kann ich Ihnen einen Blick ins Buch nur empfehlen.

Bleiben Sie locker

Der wichtigste Tipp für den NaNoWriMo ist natürlich, trotz allem Zeitdruck locker zu bleiben und die Reise zu genießen. Erwarten Sie nicht zu viel von sich selbst und auch nicht von Ihrem Roman. Denken Sie noch nicht an eine spätere Veröffentlichung, sondern betrachten Sie die kommenden Wochen als einen Abenteuerurlaub mit Ihrer Kreativität.

Beim NaNoWriMo geht es in erster Linie darum, Spaß zu haben, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen und dabei zu entdecken, wie produktiv man sein kann, wenn man falschen Perfektionismus und die leidige Aufschieberitis über Bord wirft.

In diesem Sinne: viel Spaß beim Schreiben und viel Erfolg beim diesjährigen NaNoWriMo!


Wie man einen Roman mit der Schneeflocken-Methode plant

Auf Leserwunsch – und weil es so gut zur Assoziativen Ideen-Matrix zur Ideenfindung von Romanen passt, die ich in meinem Schreibratgeber „Kreativ mit der Matrix“ vorgestellt habe – möchte ich in diesem Blogpost auf die Planung einer Romanhandlung mit der Schneeflocken-Methode eingehen.

Die Schneeflocken-Methode (im englischen Original „Snowflake-Method„) ist eine Technik zur Planung einer Romanhandlung, die vom amerikanischen Schriftsteller Randy Ingermanson zur Planung seiner eigenen Romane entwickelt wurde und die seitdem von tausenden Schriftstellern weltweit eingesetzt wird.

Der Name der Schneeflocken-Methode geht auf die kochsche Schneeflocke (benannt nach dem schwedischen Mathematiker Helge von Koch) zurück. Dabei handelt es um ein geometrisches Muster – ein sogenanntes Fraktal – bei dem (stark vereinfacht ausgedrückt) ausgehend von einem gleichschenkligen Dreieck jede Seite gedrittelt und dann auf das mittlere Drittel erneut ein gleichschenkliges (natürlich deutlich kleineres) Dreieck gesetzt wird.

Macht man dies für alle drei Seiten, erhält man einen sechszackigen Stern. Für die Seiten dieses Sterns geht man wieder genauso vor: Jede Seite wird wiederum gedrittelt und auf die Mitte ein weiteres, noch kleineres Dreieck gesetzt.

Schon nach wenigen Durchläufen ergibt sich so eine komplexe geometrische Struktur, deren Aussehen an eine Schneeflocke erinnert.

Der amerikanische Schriftsteller Randy Ingermanson benannte seine Schneeflocken-Methode nach diesem Fraktal, da auch bei seiner Technik die Romanhandlung Stufe für Stufe immer weiter heruntergebrochen und detailliert wird, bis sich eine komplexe, ausgereifte Romanhandlung ergibt.

Ein wichtiger Hinweis vorab: Bei der Schneeflocken-Methode handelt es sich nicht um eine Technik, um von Null ausgehend aus einer ersten groben Idee einen fertigen Roman zu planen. Die Schneeflocken-Methode ist keine klassische Kreativitäts- oder Ideenfindungsmethode, sondern eine Technik zur Planung Ihrer Romanhandlung.

Sie können die Schneeflocken-Methode ein wenig mit dem Bau eines Hauses vergleichen. Ein Architekt kann noch so kompetent sein – wenn er keine Vorgaben über die Größe des Grundstücks, das zur Verfügung stehende Budget und die Wünsche und Vorstellungen des Bauherren hat, wird er keinen passenden Bauplan erstellen können. Genauso können Sie auch mit der Schneeflocken-Technik keinen Roman planen, wenn Sie nicht genug geeignetes Rohmaterial haben.

Randy Ingermanson empfiehlt daher, erst mit der Schneeflocken-Methode anzufangen, wenn man bereits genügend Ideen zusammengetragen und sich ausreichend lange Gedanken über die geplante Handlung gemacht hat.

Es geht also hierbei nicht darum, Ideen für einen Roman zu finden, sondern die bereits gesammelten Ideen in eine logische, durchgängige Struktur zu bringen und daraus eine Handlung zu konstruieren, die auch spannend zu lesen ist.

Natürlich wird man bei der Planung einer Romanhandlung mit der Schneeflocken-Methode früher oder später auch auf Knackpunkte stoßen, an denen einem noch Ideen fehlen. Diese noch vorhandenen Lücken in der Handlung, die man bei der Planung mit der Schneeflocken-Methode mit untrüglicher Sicherheit aufdeckt, kann man dann während der einzelnen Stufen des Planungsprozesses noch mit neuen Ideen füllen.

Aus diesem Grund passt die Schneeflocken-Methode wie bereits erwähnt wunderbar zur Assoziativen Ideen-Matrix aus meinem Buch „Kreativ mit der Matrix„.

Mit der Assoziativen Ideen-Matrix entwickeln Sie aus 20 „Eckpunkten“ Ihrer Romanidee (z.B. Charaktere, Handlungsorte etc.) innerhalb kurzer Zeit einen riesigen Vorrat an eng miteinander zusammenhängenden Ideen – also jede Menge Rohmaterial für Ihre Romanhandlung.

Üblicherweise haben Sie nach einem Durchlauf mit der Assoziativen Ideen-Matrix bereits ein recht gutes Gefühl dafür, worum es in Ihrer Romanhandlung gehen soll und was der zentrale Handlungsstrang sein wird.

Das ist die perfekte Ausgangssituation, um mit der Schneeflocken-Methode von Randy Ingermanson Struktur in die gesammelten Ideen zu bringen und daraus eine fertige Romanhandlung zu machen.

Die Schneeflocken-Methode besteht aus zehn aufeinander aufbauenden Schritten. Die Reihenfolge der Schritte ist zwar fest (sie können also keine Schritte überspringen oder sie in abweichender Reihenfolge abarbeiten), doch Sie können jederzeit nochmal einen oder mehrere Schritte zurück gehen, wenn Sie feststellen, dass Sie doch noch mal etwas an Ihrer bisherigen Struktur ändern müssen.

Ein solcher „Rückschritt“ ist kein Fehler, sondern gehört zum ganz normalen Ablauf der Schneeflocken-Methode dazu. Es ist wesentlich einfacher, solche notwendigen Änderungen bereits in der Planungsphase einzubringen, als sie später in ein fertig geschriebenes Manuskript von ein paar hundert Seiten einzuarbeiten.

Schritt 1: Ihre Romanhandlung in 15 Worten

Im ersten Schritt dampfen Sie alles, was Sie bisher über Ihren Roman wissen, auf einen einzigen Satz von nicht mehr als 15 Wörtern ein. Beispiel: „Ein ehemaliger CIA-Agent jagt in Afghanistan die Mörder seiner Tochter.“

Dabei gilt: Je kürzer, desto besser. Verzichten Sie auf Namen, sondern beschränken Sie sich auf die Rolle (im obigen Beispiel „ein ehemaliger CIA-Agent“).

Diesen einen Satz können Sie später wunderbar verwenden, wenn jemand Sie fragt, worum es in Ihrem Roman geht.

Schritt 2: Drei Katastrophen und das große Finale

Im zweiten Schritt bauen Sie diesen Satz zu einem kompletten Absatz aus, in dem Sie die Ausgangssituation, die größeren Katastrophen und das Ende der Handlung schildern.

Randy Ingermanson strukturiert seine Romane gerne in einer Abwandlung der klassischen 3-Akt-Struktur als „Drei-Katastrophen-Struktur“. Dabei liegt die erste Katastrophe am Ende des ersten Akts – sozusagen der „Punkt ohne Wiederkehr“, an dem der Protagonist des Romans so tief in die Handlung verwickelt wurde, dass es für ihn kein zurück mehr gibt.

Die zweite Katastrophe ereignet sich ungefähr in der Mitte des zweiten Akts. Da der zweite Akt in der klassischen 3-Akt-Struktur ungefähr die Hälfte der Handlung umfasst (25% Akt 1, 50% Akt 2, 25% Akt 3), ist diese zweite Katastrophe ein gutes Hilfsmittel gegen die gefürchtete „durchhängende Mitte“.

Diese „durchhängende Mitte“ ist wie bei einer langen Stromleitung, die in der Mitte zwischen zwei weit auseinander stehenden Masten durchhängt. Plaziert man in der Mitte einen weiteren Mast, der die Leitung hoch hält, kann sie nicht durchhängen – und die zweite Katastrophe in der Mitte des zweiten Akts verhindert, dass Ihre Handlung einen solchen Durchhänger hat.

Die dritte Katastrophe ereignet sich schließlich am Übergang zu Akt 3. Dies ist der düsterste Moment der Handlung, in dem alles hoffnungslos wirkt und an dem der Leser sich kaum noch vorstellen kann, wie jetzt noch alles gut ausgehen soll.

Im dritten Akt kommt dann die dramatische und überraschende Auflösung – also das Ende der Handlung. Wenn Sie diese fünf wichtigen Wegpunkte (Ausgangssituation, Katastrophen 1 bis 3, Auflösung) in einem Absatz zusammengefasst haben (ca. ein Satz für jeden der fünf Wegpunkt), sind Sie mit dem zweiten Schritt fertig.

Schritt 3: Die Hauptfiguren und ihre Ziele

Im dritten Schritt von Randy Ingermansons Schneeflocken-Methode beschäftigen Sie sich genauer mit den Hauptcharakteren Ihrer Romanhandlung. Arbeiten Sie für jeden Ihrer wichtigen Charaktere ein Dossier mit folgenden Informationen aus:

  • Name des Charakters
  • Eine Zusammenfassung der Handlung aus Sicht des jeweiligen Charakters in einem einzigen Satz.
  • Die Motivation des Charakters, also z.B. Liebe, Pflichtbewusstsein, Rache…
  • Das Ziel des Charakters: Was will er ganz konkret erreichen? Im obigen Beispiel: „Er will die Mörder seiner Tochter finden und zur Rechenschaft ziehen.“
  • Der Konflikt des Charakters: Welche Hindernisse hindern ihn daran, dieses Ziel zu erreichen?
  • Die Epiphanie des Charakters: Was lernt die Figur im Verlauf der Handlung und wie ändert sie sich?
  • Die Zusammenfassung der Handlung aus Sicht des jeweiligen Charakters, diesmal jedoch auf einen kompletten Absatz ausgebaut.

Wenn Sie mit diesem Schritt fertig sind, haben Sie schon viel über Ihre Charaktere und Ihre Handlung gelernt. Falls Ihre Handlungsidee doch nicht tragfähig ist, merken Sie das spätestens jetzt. Es ist leichter, ein Romanprojekt zu verwerfen oder nochmal als Reißbrett zurückzukehren, wenn man erst ein paar Stunden in die Planung investiert hat, als wenn man bereits in monatelanger Arbeit eine holprige und nicht recht zusammen passende Rohfassung geschrieben hat.

Schritt 4: Die „einseitige“ Romanhandlung

Im vierten Schritt erweitern Sie Ihre „Kompakthandlung“ aus Schritt 3 zu einem Handlungsentwurf von ca. einer Seite.

Dafür machen Sie aus jedem der Sätze Ihres ursprünglichen Entwurfs einen kompletten Absatz von ca. 80-100 Wörtern.

  • Absatz 1 beginnt mit der Ausgangssituation und endet mit der ersten Katastrophe.
  • Absatz 2 schildert die weiteren Ereignisse bis zur zweiten Katastrophe in der Mitte der Handlung.
  • Absatz 3 führt durch die zweite Hälfte des zweiten Akts und endet mit der dritten Katastrophe.
  • Absatz 4 führt schließlich durch den dritten Akt der Handlung bis zum großen Finale.

Schritt 5: Die Charakter-Synopsen

Im fünften Schritt von Ingermansons Schneeflocken-Methode wenden Sie sich wieder den Charakteren Ihres Romans zu.

Basierend auf Ihrer Arbeit aus Schritt 3 erstellen Sie für alle wichtigen Charaktere eine sogenannte „Charakter-Synopsis“ – also eine Zusammenfassung der Handlung aus der Sicht des jeweiligen Charakters.

Diese Charakter-Synopsen sollten für die Hauptfiguren Ihres Romans bei einer runden Seite landen, für die sonstigen wichtigen Nebencharaktere bei circa einer halben Seite.

Schritt 6: Bauen Sie Ihre Handlung auf vier Seiten aus

Wie Sie bereits merken, wird die Ausarbeitung Ihrer Romanhandlung von Schritt zu Schritt aufwändiger und umfangreicher. Für den sechsten Schritt, mit dem Sie nun beginnen, kalkuliert Randy Ingermanson bereits eine runde Woche.

In dieser Zeit sollten Sie die einseitige Zusammenfassung Ihrer Romanhandlung aus Schritt 4 auf den vierfachen Umfang ausarbeiten, indem Sie jeden der vier Absätze zu einer kompletten Seite ausarbeiten.

Schritt 7: Legen Sie Dossiers für Ihre Charaktere an

Im siebten Schritt (für den Sie wiederum eine runde Woche einplanen sollten), erstellen Sie komplette Dossiers für ihre Romancharaktere, die alles enthalten, was es über Ihre Charaktere zu wissen gibt.

Basierend auf Ihrer Arbeit aus Schritt 3 arbeiten Sie die Hintergrundgeschichte der Figur, alle wichtigen Daten, die man üblicherweise in Charakterbögen findet und natürlich in erster Linie die Veränderung der Figur im Verlauf der Handlung aus.

Wie in allen anderen Schritten können Sie natürlich auch in Schritt 7 jederzeit zu den früheren Schritten zurückkehren, um dort notwendige Anpassungen vorzunehmen.

Schritt 8: Planen Sie die einzelnen Szenen Ihres Romans

Im achten Schritt erstellen Sie auf Basis Ihrer bisherigen Planung den Szenenplan. Randy Ingermanson verwendet hierfür eine Tabellenkalkulation (z.B. Excel oder OpenOffice Calc), ich persönlich finde diese Vorgehensweise allerdings relativ umständlich, wenn man sie mit der Pinwand-Funktion von Scrivener oder dem hierauf spezialisierten „SuperNotecard“ von Mindola vergleicht.

Der Vorteil dieser Programme ist, dass man die Szenen jederzeit leicht neu arrangieren und verschieben kann, was sich in einer Tabellenkalkulation deutlich umständlicher gestaltet.

Aber egal, ob Sie Ihre Szenen wie von Ingermanson vorgeschlagen in einer Tabellenkalkulation, in Scrivener oder SuperNotecard oder handschriftlich auf echten Karteikarten planen: am Ende sollten Sie Ihre Szenen (durchaus 100 oder mehr bei einem längeren Roman) inklusive der Zuordnung des jeweiligen Perspektiv-Charakters (aus wessen Sicht wollen Sie die Szene schildern?) parat haben – eventuell auch schon mit einer Zuordnung zu den späteren Kapiteln Ihres Romans.

Die eigentliche Beschreibung der Szene halten Sie hierbei sehr kurz – nicht mehr als ein bis zwei Sätze, was in der Szene geschehen soll. Das reicht, um die Handlung Ihres Romans auf Szenenebene vorzuplanen.

Schritt 9: Vorarbeit für die einzelnen Szenen

Der neunte Schritt ist der einzige optionale Schritt in der Schneeflocken-Methode. Optional deswegen, da auch Randy Ingermanson diesen Schritt mittlerweile bei der Planung seiner Romane unter den Tisch fallen lässt und stattdessen direkt zu Schritt 10 (dem Schreiben der Rohfassung) übergeht. Aber entscheiden Sie für sich selbst, ob dieser Schritt für Sie eine sinnvolle Zwischenstufe vor der eigentlichen Rohfassung oder doch eher Zeitverschwendung ist…

In Schritt 9 geht es darum, dass man die in Schritt 8 ausgearbeitete Szenenliste in ein- bis zweiseitige detaillierte Rohfassungen der Szenen ausarbeitet, die nähere Informationen zum Konflikt der Szene und ggf. auch schon Dialog-Fragmente enthalten können.

Ich finde, dass Micro-Plotting (also das Festlegen der genauen Abläufe innerhalb einer Szene) ein wichtiger Schritt vor dem eigentlichen Schreiben der Szene ist, aber ich halte es nicht unbedingt für sinnvoll, es für den kompletten Roman im Voraus zu machen.

Meiner Erfahrung nach ist die Gefahr zu groß, dass man während des Schreibens noch kleinere Änderungen und Korrekturen an der geplanten Handlung vornehmen muss, durch die einzelne Szenen entfallen oder sich sehr stark ändern können. Hat man schon alle Szenen bis zum Ende des Romans mit Micro-Plotting sehr detailliert geplant, muss man mit etwas Pech die Arbeit von einigen Stunden wieder verwerfen.

Ich würde eher empfehlen, periodisch (z.B. an jedem Wochenende) die nächsten paar Szenen detaillierter vorzuplanen. Wie viele Szenen der für Sie optimale Planungshorizont sind, richtet sich danach, wie viele Szenen Sie maximal in einer Woche schreiben.

Wenn Sie vier bis sechs Szenen pro Woche schreiben, sollten Sie sieben bis zehn Szenen im Detail voraus planen. Alles, was hinter diesem Horizont liegt, sollten Sie bei dem kurzen, knappen Szenenentwurf aus Schritt 8 belassen.

Schritt 10: Schreiben Sie die Rohfassung

Der zehnte und letzte Schritt in der Schneeflocken-Methode ist kein eigentlicher Planungsschritt mehr, sondern besteht aus dem Schreiben der Rohfassung. Und das läuft mit einer soliden Vorplanung, wie Ingermanson sie vorschlägt, wesentlich schneller und flüssiger, als wenn Sie sich ohne ausreichende Vorbereitung ins Abenteuer stürzen.

Zusammenfassung

Randy Ingermansons Schneeflocken-Methode ist ein solides Konzept, um einen Roman zu planen. Es gibt weltweit tausende Autoren, die die Schneeflocken-Methode (ggf. mit leichten Anpassungen an die eigene Denk- und Arbeitsweise) für sich adaptiert haben und darauf schwören.

Natürlich gibt es auch tausende Autoren, die die Schneeflocken-Methode ausprobiert haben und nichts damit anfangen können. Das liegt schlicht und einfach daran, dass jeder Autor anders tickt und dass keine Methode – egal wie gut sie auch sein mag – für jeden von uns passt.

Die Schneeflocken-Methode ist etwas für echte Outliner, die ihre Handlung bis ins letzte Detail vorplanen, bevor sie auch nur „Kapitel 1“ über die erste Seite schreiben.

Einem „Discovery-Writer“, der seine Handlung gerne erst beim Schreiben zusammen mit seinen Hauptfiguren entdeckt, würde diese Methode vermutlich den Spaß am Schreiben gründlich austreiben.

Vorteile

Mit der Schneeflocken-Methode erhält man eine durchgängige, logisch zusammenhängende Handlung ohne eine „durchhängende Mitte“. Alle wichtigen Elemente werden gleichmäßig über die Handlung verteilt.

Durch die abwechselnde Betrachtung der eigentlichen Handlung (sozusagen aus der Vogelperspektive) und der einzelnen Charaktere ist sichergestellt, dass die Handlungsstränge der einzelnen Charaktere zusammen passen und sich in ihrer Gesamtheit zu einer in sich geschlossenen Handlung zusammenfügen.

Nachteile

Bis man bei Schritt 10 angekommen ist, schreibt man jedes Handlungselement seines Romans mehrfach in unterschiedlichem Detaillierungsgrad und teils aus der Sicht unterschiedlicher Charaktere. Das hilft einem zweifellos, alle Handlungselemente zu verinnerlichen und zu einem homogenen Ganzen zusammenzuführen – ähnlich wie die eintönigen Übungen, mit denen Mr. Miyagi in „Karate Kid“ seinen Schüler zu einem echten Karate-Kämpfer ausbildete.

Dennoch werden ungeduldige Schriftsteller, die sich jede Stunde Zeit zum Schreiben mühsam freikämpfen müssen, spätestens in Schritt 5 überlegen, die Planung mit der Schneeflocken-Methode vorzeitig abzubrechen und endlich ans eigentliche Schreiben zu gehen.

Fazit

Vergleicht man das Schreiben eines Romans mit der Zubereitung einer Pizza ist die Schneeflocke-Methode eine Anleitung, mit deren Hilfe man den Teig perfekt über das komplette Backblech ausrollen kann, ohne dass irgendwo Löcher im Teig aufklaffen.

Sie bietet keine Rezepte für den Teig und den Belag (abgesehen vom relativ allgemein gehaltenen Hinweis, gleichmäßig übe die Handlung verteilt drei Katastrophen einzustreuen, die die Spannung für den Leser aufrecht erhalten.

Um optimale Ergebnisse zu erzielen, sollte man die Schneeflocken-Methode daher mit anderen Konzepten wie der „Reise des Helden“ nach Joseph Campbell kreuzen, die mehr Hilfestellungen für den eigentlichen Aufbau einer dramatischen Handlung bieten.

Über Randy Ingermanson

Randy Ingermanson ist nicht nur Physiker, sondern auch preisgekrönter Autor von sechs Romanen. Er hat im Verlauf der Jahre auf zahlreichen Schriftsteller-Konferenzen unterrichtet und veröffentlicht das kostenlose monatliche „Advanced Fiction Writing E-zine“, das weltgrößte elektronische Magazin rund ums kreative Schreiben mit über 30.000 Lesern.