Warum man als Schriftsteller ein Erfolgstagebuch führen sollte

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin ein ziemlich ungeduldiger Mensch. Wenn ich etwas angehe, möchte ich möglichst schnell damit Erfolg haben. Dass ich mit dieser Ungeduld nicht alleine bin, sehe ich an den vielen Schriftstellern, die auf halbem Wege aufgeben, obwohl sie eigentlich das Potential gehabt hätten, wesentlich mehr aus sich zu machen.

Doch Erfolg als Schriftsteller ist nichts, was sich innerhalb weniger Monate oder auch nur weniger Jahre erreichen lässt. Als Schriftsteller muss man über Jahrzehnte immer weiter an seinen Fähigkeiten arbeiten und an jedem neuen Projekt wachsen. Dieser Prozess ist niemals abgeschlossen.

Die beste Methode, um den dafür notwendigen langen Atem zu entwickeln, ist, den Weg als das Ziel zu betrachten. Es geht nicht darum, möglichst schnell ein bestimmtes Ziel (z.B. eine Platzierung in den Top-10 der Bestsellerlisten oder gar den Punkt, an dem man ausschließlich vom Schreiben leben kann) zu erreichen, sondern in erster Linie darum, den Weg in Richtung dieses Ziels zu genießen – egal, wie lang er auch sein mag.

Das bedeutet natürlich nicht, dass man trödelt und sich unnötig viel Zeit lässt – aber es bedeutet auch nicht, dass man sich abhetzt und wie mit Scheuklappen den Blick starr auf das weit entfernte Ziel gerichtet hält.

Eine verkrampfte Fokussierung auf ein Ziel, auf dessen Erreichung wir nur sehr begrenzten Einfluss haben, ist ein sicheres Rezept für Frustration und Verbitterung. Nichts, was wir tun, kann garantieren, dass wir irgendwann mal mit einem unserer Bücher ganz oben in den Bestseller-Listen stehen oder gar, dass wir irgendwann unseren Brotjob aufgeben und einzig und allein vom Schreiben leben können.

Das einzige, worauf wir als Schriftsteller Einfluss haben, ist, dass jeder unserer Schritte uns nach Möglichkeit in die richtige Richtung führt: dass wir die Projekte in Angriff nehmen, die uns unseren Zielen näher bringen, und konsequent daran arbeiten, jeden Tag ein bisschen besser zu werden.

Es sind nicht die großen Quantensprünge, die uns zum Erfolg bringen, sondern das langsame, aber stetige Wachstum. Sie kennen bestimmt die Auswirkung von Zins und Zinseszins in der Finanzwelt, die selbst relativ kleine Beträge im Laufe der Jahre durch kontinuierliche Verzinsung zu einem beträchtlichen Vermögen anwachsen lassen. Doch die wenigsten von uns sind sich darüber im Klaren, dass dasselbe auch für das eigene Wachstum in den unterschiedlichsten Bereichen gilt – auch beim Schreiben.

Setzen wir unsere Erwartungen bewusst niedrig an: Stellen Sie sich vor, dass Sie jeden Tag nur 1 Promille besser werden als am Vortag. Kein ganzes Prozent, nur ein Promille – ein Tausendstel. Eine solche Veränderung ist doch so marginal, dass sie eigentlich überhaupt keine Auswirkungen haben kann – oder doch?

Wenn Sie konsequent an Ihren eigenen Fähigkeiten und Projekten arbeiten und tatsächlich jeden Tag ein Tausendstel besser werden als am Vortag, haben Sie nach einem Jahr Ihre Fähigkeiten bereits um 44% gesteigert.

Das wirkt nach relativ wenig und in der Praxis sind gerade zu Beginn auch deutlich größere Steigerungen möglich. Anfangs haben Sie so viele Möglichkeiten, zu wachsen und besser zu werden, dass Sie durch konsequente Weiterentwicklung Ihrer Fähigkeiten enorme Fortschritte machen können. Doch genau wie beim Abnehmen kann man diese Geschwindigkeit auf lange Sicht nicht durchhalten. Auch beim Abnehmen purzeln die ersten Pfunde schnell, doch danach verlangsamt sich der Fortschritt so stark, dass viele frustriert aufgeben. Doch ein Wachstum von einem lächerlichen Promille pro Tag ist etwas, das man auch auf lange Sicht durchhalten kann.

Schon nach wenigen Jahren hat das eine, scheinbar lächerliche Promille pro Tag zu unübersehbaren Fortschritten geführt: nach zwei Jahren haben sich Ihre Fähigkeiten mehr als verdoppelt, nach fünf Jahren versechsfacht und nach zehn Jahren sind Sie fast 40mal so gut wie damals, als Sie begonnen haben.

Das Problem dabei ist, dass Sie selbst es nicht mehr merken. Genau wie nur Verwandte, die nur einmal im Jahr während der Feiertage zu Besuch kommen, jedes Mal erstaunt bemerken, wie sehr die Kinder gewachsen sind, während es den Eltern, die ihre Kinder tagtäglich sehen, kaum auffällt, fällt auch uns das Wachstum unserer eigenen Fähigkeiten überhaupt nicht auf.

Als Schriftsteller haben wir das Gefühl, auf der Stelle zu treten und unserem immer noch weit entfernten Ziel kaum einen Schritt näher gekommen zu sein, während unbeteiligte Zuschauer vielleicht den berechtigten Eindruck haben, dass wir bereits enorme Fortschritte und Erfolge erzielt haben.

Das beste Motivationstool, das ich jedem Schriftsteller empfehlen kann, ist ein Erfolgstagebuch – eine chronologische Aufzeichnung aller kleinen und großen Erfolge, auf die Sie stolz sein können.

Je früher Sie mit dem Führen eines solchen Erfolgstagebuchs anfangen, umso besser. Anfangs notieren Sie vielleicht als Erfolg, dass Sie Ihre erste Kurzgeschichte fertig geschrieben haben, auch wenn diese noch nicht gut genug war, um irgendwo veröffentlicht zu werden. Im Laufe der Zeit werden die Erfolge größer: Kurzgeschichten, die in Anthologien abgedruckt werden, die Wettbewerbe gewinnen oder fürs Radio als Hörspiele adaptiert werden. Die Fertigstellung des ersten Romans. Die Veröffentlichung des ersten eigenen Buchs, egal ob über einen Verlag oder als Selfpublisher. Die ersten Einnahmen aus der Tätigkeit als Schriftsteller. Die erste Bestseller-Platzierung eines eigenen Buchs in einer bestimmten Kategorie bei Amazon.

Wenn wir konsequent an unseren eigenen Fähigkeiten arbeiten, unsere Projekte fertigstellen und anschließend immer ehrgeizigere Projekte in Angriff nehmen, die unseren mittlerweile gestiegenen Fähigkeiten gerecht werden, werden auch die Erfolge, die wir in unserem Buch notieren können, im Laufe der Jahre immer größer.

Wenn man dann doch einmal demotiviert ist und das Gefühl hat, seit Jahren auf der Stelle zu treten und seinen Zielen keinen Schritt näher zu kommen, ist es extrem motivierend und hilfreich, in seinem eigenen Erfolgstagebuch zu blättern.

Nicht nur, weil man sich so vor Augen führt, was man in den letzten Jahren schon alles erreicht hat, sondern auch, weil man sieht, auf was für kleine, aus heutiger Sicht fast schon lächerlich wirkende Erfolgserlebnisse man in der Anfangsphase schon stolz war. Genau wie man an seinen eigenen Kinderbildern sieht, wie sehr man seitdem gewachsen ist und sich verändert hat, hilft einem das Erfolgstagebuch, den eigenen Fortschritt realistisch zu betrachten und zu erkennen, wie weit man bereits gekommen ist.

Ein weiteres wirksames Motivationstool ist, größere Erfolge, die man zu diesem Zeitpunkt für sich selbst als Meilenstein betrachtet, als Jahrestage in den eigenen elektronischen Kalender einzutragen. So werden Sie im Kalender Ihres Smartphones immer wieder an frühere Erfolge erinnert – zum Beispiel, dass Sie heute vor drei Jahren bei einem renommierten Schreibwettbewerb einen der ersten Plätze belegt haben, oder dass Sie heute vor X Jahren Ihr erstes Buch veröffentlicht haben. Das motiviert nicht nur, sondern ist in vielen Fällen auch ein Grund zum Feiern, genau wie man die Jahrestage anderer bedeutsamer Ereignisse feiert.

Wenn Sie noch kein Erfolgstagebuch haben, sollten Sie sich unbedingt eines anlegen. Versuchen Sie, rückblickend die bisher wichtigsten Etappen zu rekonstruieren und tragen Sie diese dann mit dem jeweiligen Datum chronologisch in Ihr Erfolgstagebuch ein, bis Sie beim heutigen Datum angekommen sind. Notieren Sie am besten alle Erfolge, die Ihnen einfallen, zunächst auf Karteikarten oder losen Zetteln, da Sie diese später einfach chronologisch sortieren können, bevor Sie alles in Ihr Erfolgstagebuch übertragen.

Gewöhnen Sie sich ab jetzt an, jeden kleinen Erfolg einzutragen: die Fertigstellung eines neuen Manuskripts bzw. dessen Veröffentlichung, einen Blogpost mit extrem vielen positiven Kommentaren, eine besonders hohe Tantiemenabrechnung oder eine gute Platzierung eines Ihrer Bücher in den Amazon-Bestsellerlisten.

Je mehr solche kleinen und größeren Erfolge Sie im Laufe der Zeit zusammentragen, desto besser kann das Blättern in diesem Erfolgsbuch Sie motivieren, wenn Sie wieder mal das Gefühl haben, auf der Stelle zu treten und Ihren Zielen nicht wirklich näher zu kommen. Probieren Sie es einfach einmal aus – es lohnt sich.


Tipp: Abonnieren Sie den kostenlosen WritersWorkshop Autorennewsletter und erhalten Sie alle neuen Beiträge direkt am Erscheinungstag ganz bequem per Mail.