Einfacher und schneller schreiben dank Checklisten-Plotting

Wenn es ums Schreiben von Romanen geht, kommt immer wieder die alte Diskussion zwischen „Plottern“ und „Pantsern“ auf. Während die „Plotter“ (oft auch als Planer, Outliner oder als Architekten bezeichnet) ihre Romanhandlungen stets bis ins letzte Detail vorplanen, bevor sie mit dem eigentlichen Schreiben beginnen, stürzen sich klassische „Pantser“ (auch als Gärtner, als ‚organische Schriftsteller‘ oder als ‚entdeckende Schriftsteller‘ bekannt) auf Basis einer interessanten Grundidee ins Schreiben und lassen sich zusammen mit ihren Romancharakteren überraschen, wohin sie die Handlung führt.

In der Praxis gibt es natürlich kaum einen ‚lupenreinen‘ Plotter oder Pantser, sondern die meisten Schriftsteller bewegen sich irgendwo in den unendlich vielen Graustufen zwischen diesen beiden Extremen. Ein klein wenig plant auch der eingefleischteste Pantser und selbst der hartgesottenste Plotter ist üblicherweise durchaus bereit, das Ende seiner Romanhandlung noch einmal anzupassen, wenn ihm auf halbem Wege eine noch bessere Idee kommt.

Beide Ansätze haben ihre individuellen Vor- und Nachteile: Plotter haben üblicherweise eine gut strukturierte Rohfassung, die wesentlich weniger Überarbeitung benötigt als die eines Pantsers. Dafür spart sich der Pantser den Zeitaufwand für die Planung und bewahrt sich die kreative Freiheit, beim Schreiben jeder neuen Idee zu folgen und jede interessante Abzweigung zu nehmen. Im Allgemeinen haben die Romane von Pantsern oft zu wenig Struktur und plätschern oft recht lange ziellos vor sich hin, während die Romane von Plottern manchmal etwas zu sehr am Reißbrett entworfen und daher „zu konstruiert“ wirken.

Doch es gibt einen guten Kompromiss zwischen den beiden Extremen, der einerseits für eine gewisse durchgängige Struktur sorgt, andererseits aber dem Schriftsteller genügend kreative Freiheiten lässt, um die Handlung unterwegs an neue Erkenntnisse und Ideen anzupassen: das „Checklisten-Plotting“.

Sagt Ihnen überhaupt nichts? Macht nicht. Sie brauchen auch gar nicht erst zu versuchen, diesen Begriff zu googeln – er ist von mir erfunden worden. Aber jede Technik braucht nur einmal einen passenden und griffigen Namen. ;-)

Beim Checklisten-Plotting plant man lediglich den Anfang und das Ende eines Romans, lässt aber den großen Mittelteil offen und hält stattdessen nur die wichtigsten Punkte, die bis zum Ziel erreicht werden müssen, als formlose Checkliste fest. Beim eigentlichen Schreiben des Romans hakt man diese Punkte dann ab, sobald man sie „erledigt“ hat.

Das klingt jetzt natürlich noch ziemlich abstrakt, aber ein kleines Beispiel verdeutlicht die Sache recht schnell: Wenn ich nach einem tiefen Griff in die Klischee-Kiste eine weitere Version der alten Geschichte „Junger Bauernbursche zieht aus, um den bösen Drachen zu erschlagen, der das Land terrorisiert“ schreiben möchte, sind Anfang und Ende ziemlich schnell klar.

Anfang: Der Protagonist – nennen wir ihn Max – startet als junger, unerfahrener Bauernbursche, dessen väterlicher Hof gerade vom Drachen in Schutt und Asche gelegt wurde.

Ende: Max stellt den Drachen zum finalen Kampf, erschlägt ihn mit dem magischen Schwert, das allein in der Lage ist, die Schuppen des Drachen zu durchdringen, rettet damit das Land, erbeutet den Schatz des Drachen und erhält vom König zum Dank die Hand der Prinzessin.

Klappen wir also die Klischeekiste wieder zu und überlegen uns, was zwischen der Ausgangssituation und dem geplanten Ende mindestens passieren müsste, um das Ende plausibel zu gestalten. „Mindestens“ deswegen, weil wir zu diesem Zeitpunkt wirklich nur die Punkte festhalten, die wirklich passieren müssen – nicht die optionalen Dinge, die Max unterwegs noch erleben könnte.

In dieser Phase notiert man zunächst einmal alles, was einem hier in den Sinn kommt, ohne sich großartig über die logische Reihenfolge der Ereignisse Gedanken zu machen oder gar konkrete Szenen zu planen.

Checkliste für „Max, der Drachentöter“:

  • Max erhält das magische Schwert
  • Max findet heraus, wo das Versteck des Drachen ist
  • Max lernt, wie man mit einem Schwert kämpft
  • Max erfährt, welche Schwachstellen ein Drache hat und wie man sie bekämpfen kann
  • Max erfährt, dass der König demjenigen, der das Land vom Drachen befreit, die Hand der Prinzssin versprochen hat
  • Max erfährt, dass eine normale Waffe die Haut des Drachen nicht durchdringen kann
  • Max zieht vom Hof seines Vaters los
  • Max erhält einen Schild, der ihn vor dem Feueratem des Drachen schützen kann

Sie sehen schon, dass diese Liste vorerst noch absolut unstrukturiert ist und keine logische Reihenfolge hat. Es ist mehr wie das Schreiben einer Einkaufsliste, auf der Sie alles notieren, was Sie benötigen, um ein mehrgängiges Menü für Ihre Freunde zu kochen.

Tatsächlich hat das Schreiben eines Romans mit dem Checklisten-Plotting etwas von einem Großeinkauf im Supermarkt: Man hat zwar seine Einkaufsliste dabei, auf der man sich alles notiert hat, was man besorgen möchte, doch sind diese Dinge üblicherweise nicht in derselben Reihenfolge aufgelistet, in der man letztendlich auf seinem Weg durch die Gänge an ihnen vorbei kommt.

Und natürlich kommt man beim Einkaufen auch noch auf spontane Ideen, was man auch noch (oder statt anderer Zutaten von der ursprünglichen Einkaufsliste) besorgen könnte. Auch das ist ähnlich wie beim Schreiben: Wenn einem während des Schreibens plötzlich die Idee kommt, dass es doch viel besser wäre, wenn Max sich mit einem Tarnumhang unentdeckt an den Drachen heranschleichen könnte, kann man den Schild von der Checkliste streichen und dort stattdessen den Tarnumhang notieren.

Genau wie beim Einkaufen entweder das Fassungsvermögen des Einkaufswagens (bzw. des heimischen Kühlschranks) oder aber das Haushaltsbudget das Limit des Einkaufs definieren, ist es beim Schreiben der geplante Umfang des fertigen Romans: Wenn man beim Einkaufen den Wagen schon halb voll hat, aber noch kaum etwas von seiner ursprünglichen Einkaufsliste abhaken konnte, läuft der Einkauf offenbar etwas aus dem Ruder. Dasselbe gilt fürs Schreiben: Wenn man schon mehr als die Hälfte des geplanten Umfangs seines Romans geschrieben hat und noch fast keinen der Punkte von seiner Checkliste abhaken konnte, läuft auch hier etwas ziemlich schief.

Damit einem das nicht passiert, sollte man beim Schreiben stets die aktuelle Länge seines Manuskripts im Auge behalten. Wenn man einen Roman von ca. 100.000 Wörtern (also runden 400 Normseiten) plant, und eine Checkliste mit 20 Punkten hat, die man bis zum großen Finale abhaken muss, sollte man Pi mal Daumen alle 5.000 Wörter bzw. alle 20 Seiten einen dieser Punkte als erledigt von seiner Liste streichen können.

Der große Vorteil des Checklisten-Plottings ist seine Flexibilität: Ich kann beim Schreiben improvisieren und jeder spontanen Idee folgen, solange ich dabei meine Checkliste nicht aus den Augen verliere.

Verschlägt es Max nach einem Schiffbruch in eine Hafenstadt voller zwielichtiger Gestalten, kann ich mich nach einem raschen Blick auf die Checkliste dafür entscheiden, dass Max dort den einbeinigen Drachentöter Knut trifft, von dem er viel über Drachen und ihre effektive Beseitigung erfährt. Oder vielleicht könnte Max in der Hafenstadt auf die Spuren eines unsichtbaren Einbrechers stoßen, der offenbar über einen Tarnumhang verfügt?

Solange ich weiß, welche Punkte ich bis zum großen Finale noch abhaken muss, kann ich mir jederzeit einfach den nächsten Punkt herauspicken, der sich von der logischen Entwicklung her recht gut in die Handlung einpassen ließe. Und gleichzeitig stelle ich sicher, dass sich Max nicht am Ende mit dem Schwert in der Hand in der Drachenhöhle wiederfindet und ihm noch nie jemand erklärt hat, wie man mit einer solchen Waffe kämpft oder wo sich die verwundbare Stelle des Drachen befindet. ;-)

Je nachdem, wie umfangreich Ihre Checkliste ist, ist es manchmal sinnvoll, die aktuell bereits relevanten Punkte mit einem auffälligen X am Rand zu markieren.

Wenn ich beispielsweise einen Krimi schreibe, macht der Punkt „Peter sucht im Haus von Dr. Weller nach Beweisen für seine Unschuld und findet den Geheimgang zur Kanalisation“ keinen Sinn, solange das Verbrechen nicht geschehen ist und Peter noch nicht in Verdacht geraten ist. Selbst wenn Peter Dr. Weller bereits vor dem Verbrechen kennen lernt, hätte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht den geringsten Grund, heimlich in dessen Haus einzudringen und es zu durchsuchen.

Wenn Sie also immer nur die Punkte mit einem X markieren, die zum jetzigen Zeitpunkt bereits Sinn machen, ist es wesentlich leichter, die Übersicht zu behalten. Wichtig ist allerdings, dass Sie jedes Mal, wenn Sie einen Punkt als erledigt von Ihrer Checkliste abhaken, alle noch unmarkierten Punkte durchgehen und all jene Punkte mit einem X versehen, die durch die Erreichung dieses Meilensteins relevant / akut geworden sind.

PS: Das Checklisten-Plotting lässt sich übrigens wunderbar mit der „Ja, aber…“/“Nein, und zusätzlich…“-Technik aus meinem Artikel „Eine Alternative zu klassischen Romanstrukturen“ kombinieren.


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Eine Alternative zu klassischen Romanstrukturen

Wenn es darum geht, einen Roman zu planen, bekommt man als Autor in Schreibratgebern meist die klassischen Romanstrukturen vorgebetet: von der klassischen 3-Akt-Struktur über die 8-Sequenzen-Struktur der Drehbuchautoren, Joseph Campbells ‚Monomythos‘ (besser bekannt als „Die Reise des Helden“) und die 7-Punkte-Struktur von Dan Wells bis hin zu genrespezifischen Modellen, die die einzelnen Phasen einer ‚klassischen Handlung‘ auflisten und für diese teils sogar noch prozentuale Angaben oder konkrete Seitenvorgaben machen.

Strukturen sind gut, solange sie ein stützendes Gerüst darstellen, aber sie schießen über das Ziel hinaus, sobald sie zu einem einengenden Korsett oder gar zu einer Zwangsjacke werden.

Es ist durchaus hilfreich, sich mit Romanstrukturen zu beschäftigen und ihre Elemente kennenzulernen, doch für die eigentliche Planung oder gar das Schreiben eines Romans sind sie meiner Meinung nach eher ungeeignet.

Je mehr Regeln man glaubt, beachten zu müssen, desto mehr wird das Planen und Schreiben eines Romans zu einem Hindernisparcours, bei dem man den Luftballon seiner kreativen Idee durch einen wahren Irrgarten aus rasiermesserscharfen Regeln hindurch zu manövrieren versucht. Der kreativen Entfaltung ist das nicht gerade zuträglich. Und die ist es doch gerade, auf die es uns beim Schreiben ankommt, oder?

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Struktur ist keinesfalls unwichtig, sondern ganz im Gegenteil ein wichtiges Fundament für einen guten Roman. Genau wie man bei einem Haus nachträglich nur schwer das Fundament austauschen oder das Haus gar nachträglich unterkellern kann, ist es sehr schwer und extrem aufwändig, die Struktur eines fertig geschriebenen Romans nachträglich noch zu ändern, ohne einen großen Teil der Handlung neu schreiben zu müssen.

Aber Struktur muss glücklicherweise gar nicht kompliziert sein. Nehmen wir als Beispiel ein Sandwich oder einen Burger: Jedes Sandwich hat oben und unten jeweils ein Toastbrot, genau wie jeder Burger oben und unten eine Brötchenhälfte hat. Wie viele Lagen unterschiedlicher Zutaten sich in welcher Reihenfolge dazwischen befinden, ist pure Geschmackssache. Vom dünnen Hamburger ohne alles bis zum Riesenburger, den man nur noch mit Maulsperre oder mit Meser und Gabel essen kann, ist alles möglich.

Genauso ist es auch bei Romanen. Auch hier wird der Großteil der Handlung zwischen Einleitung und Finale eingebettet. Was sich dazwischen befindet, ist bei jedem Roman anders.

Damit sind wir wieder mal bei der klassischen 3-Akt-Struktur, die auf dem Werk „Poetik“ des griechischen Philosophen Aristoteles beruht. Der erste Akt ist die Einleitung (sozusagen die untere Brötchenhälfte). Hier stellen wir die Charaktere vor und definieren den zentralen Konflikt – also das Problem, das unseren Protagonisten bis zum großen Finale auf Trab halten wird. Sobald unser Protagonist einsieht, dass er handeln muss, können wir zum Mittelteil übergehen.

Hier überhäufen wir unseren Protagonisten mit immer neuen und immer schwierigeren Problemen und Herausforderungen, bis es schließlich zum großen Finale kommt. Der Mittelteil ist sozusagen ein Dampfkochtopf, in dem wir so lange den Druck erhöhen, bis der Protagonist gar ist.

Das Finale (also die oberere Brötchenhälfte, um beim Burger-Vergleich zu bleiben) beginnt mit dem ‚dunkelsten Moment‘ aus Campbells Heldenreise – also dem Moment, in dem der Held sich in einer so aussichtslosen Lage befindet, dass er keine Chance mehr sieht, sein Ziel noch zu erreichen. Alles sieht danach aus, als ob der Antagonist gewinnen würde. Doch natürlich hat man als Autor noch eine gut vorbereitete Idee in der Hinterhand, die man zum Ende hin aus dem Ärmel ziehen kann, um das Blatt in letzter Sekunde doch noch zu wenden.

So weit, so gut, so einfach. Die meisten Autoren haben kein Problem damit, einen spannenden Anfang oder ein spannendes Ende zu schreiben. Der Mittelteil ist es, der den meisten von uns solche Probleme bereitet. Denn schließlich ist dieser Mittelteil üblicherweise mindestens ebenso lang wie die Einleitung und das Finale zusammen – oft sogar noch deutlich länger.

Viele Romane leiden daher unter der berüchtigten ‚durchhängenden Mitte‘. Das kann man sich vorstellen wie eine lange Wäscheleine oder eine Stromleitung, die zwischen zwei weit voneinander stehenden Pfosten/Masten gespannt ist. Wenn diese nicht absolut straff gespannt ist oder sich im Sommer durch Wärme ausdehnt, hängt sie in der Mitte durch.

Bei einem Roman ist dies das Niemandsland, wo wir schon so weit von der spannenden Einleitung entfernt und noch ebenso weit vom dramatischen Finale entfernt sind, dass die Handlung an Fahrt verliert. Die Spannung lässt nach, die Handlung hängt durch und mehr und mehr Leser legen das Buch gelangweilt zur Seite und lesen niemals weiter.

Das ist der Punkt, an dem viele Schriftsteller wieder nach Strukturen schielen, die ihnen dabei helfen sollen, die durchhängende Mitte mit zusätzlichen Pfosten abzustützen und hoch zu halten.

Dabei geht es viel einfacher. Sehr viel einfacher.

Die Lösung heißt „Ja, aber… / Nein, und zusätzlich…“. Die bisher beste Erläuterung zu diesem Ansatz habe ich in einer Video-Reihe der beiden amerikanischen Autoren John Brown und Larry Correia gesehen, doch auch andere bekannte Autoren wie Brandon Sanderson arbeiten mit dieser Methode.

Das dahinter liegende Prinzip ist ganz einfach: Sobald Sie mit Ihrer Einleitung fertig sind, das Problem definiert und Ihren Protagonisten mit einem Schubs in die richtige Richtung zum Handeln motiert haben, schreiben Sie Ihre Handlung „lagenweise“, um beim Burger-Vergleich (oder dem Sandwich, wenn Ihnen das lieber ist) zu bleiben.

Genau wie dort jede Lage unterschiedlich dick sein kann und natürlich auch möglichst abwechslungsreich sein sollte (nicht drei Scheiben Käse übereinander und dann fünf Salatblätter, sondern mal eine dicke Frikadelle, mal Käse, mal Salat und dann wieder ein paar Zwiebelringe), können auch die einzelnen Sequenzen, aus denen Sie den Mittelteil Ihres Romans ‚aufschichten‘, unterschiedlich lang bzw. umfangreich sein.

Ganz allgemein gesagt beginnt jede Sequenz mit einem Ziel und einem zugehörigen Plan und endet mit dem Ergebnis dieser Aktion. Dieses Ergebnis führt dann zu einem neuen Ziel, einem dazu gehörigen neuen Plan und damit zur nächsten Sequenz.

Jede dieser Sequenzen lässt sich durch eine Frage definieren, die man entweder mit „Ja, aber…“ oder mit „Nein, und zusätzlich…“ beantworten kann.

Bei der „Ja, aber“-Variante schafft es der Protagonist zwar, sein aktuelles (kurzfristiges) Ziel zu erreichen, aber jetzt zeichnet sich am Horizont ein neues, größeres Problem ab.

Dieses neue Problem sollte natürlich nach Möglichkeit mit der Lösung des bisherigen Problems zu tun haben bzw. sich daraus herleiten: Der Protagonist schafft es zwar, den Computer in der Villa des Syndikatsbosses zu hacken und die Identität des Maulwurfs in den eigenen Reihen aufzudecken, aber er erkennt, dass der Verräter ausgerechnet der Scharfschütze ist, der ihm vom Dach des Nebengebäudes aus Feuerschutz geben soll. Nun muss er befürchten, dass dieser Scharfschütze alles daran setzen wird, dass er das Gebäude nicht mehr lebend verlassen wird.

Bei der „Nein, und zusätzlich“-Variante scheitert der Protagonist und hat am Ende noch größere Probleme als zuvor: Wird der unter falschem Verdacht stehende Protagonist es schaffen, den einzigen Zeugen für seine Unschuld aufzuspüren und ihn zu einer Aussage bei der Polizei zu überreden? Nein, er kommt ein paar Minuten zu spät und findet nur noch die Leiche des Zeugen in dessen Wohnung vor – zusätzlich wird er beim Verlassen des Tatorts beobachtet und wird nun von der Polizeit auch noch wegen Mordes gesucht.

Man kann fast jede beliebige Sequenz sowohl mit einem „Ja, aber…“ als auch mit einem „Nein, und zusätzlich…“ enden lassen. So kann man beim Schreiben für Abwechslung sorgen und dem Protagonisten zwischendurch durchaus mal einen Pyrrhussieg gönnen, der in Wahrheit seine Situation sogar noch verschlechtert.

Hier ein kleines Beispiel:

Ausgangssituation: Ihr Protagonist überrascht einen Dieb, der in sein Hotelzimmer eingedrungen ist und dort gerade die Schubladen und Koffer durchwühlt. Der Dieb schnappt sich die Laptoptasche Ihres Protagonisten, stößt ihn zur Seite und flieht.

Ziel/Plan: Ihr Protagonist nimmt die Verfolgung des Diebs auf, um ihn zu stellen und ihm die Tasche wieder abzunehmen.

Frage: Wird es dem Protagonisten gelingen, den Dieb einzuholen und sich die Laptoptasche zurückzuholen?

Antwort, Variante A: Ja, aber bei der Verfolgung des Diebs durch die halbe Stadt ist er in einem heruntergekommenen Viertel gelandet. Er hat die Orientierung verloren und allmählich wird es schon dunklel. Eine Gruppe zwielichtiger Gestalten kommt auf ihn zu und umringt ihn. Einer von ihnen zückt ein Messer.

Antwort, Variante B: Nein, und zusätzlich büßt er auch noch seine Brieftasche und sein Handy ein, als der flüchtige Dieb ihm hinter einer einer Ecke auflauert und ihn mit einem herumliegenden Kantholz niederstreckt. Jetzt hat er eine gebrochene Nase, kein Geld für ein Taxi und kein Telefon mehr, um Hilfe zu rufen.

Egal, ob der Protagonist sein Ziel erreicht (Variante „Ja, aber…“) oder ob er scheitert (Variante „Nein, und zusätzlich…“) – seine Situation hat sich gerade verschlimmert.

Mit jeder solchen Sequenz, die Sie schreiben, bringen Sie Ihren Protagonisten in immer größere Schwierigkeiten, erhöhen den Druck und den Einsatz und versorgen ihn direkt mit einem neuen, noch größeren Problem, um das er sich kümmern muss.

Die Faustregel ist: Egal, wie die Sequenz ausgeht – Ihr Protagonist muss sich am Ende in einer noch schlechteren Situation als am Anfang befinden.

Achten Sie allerdings stets darauf, dass Sie den Druck nur langsam steigern. Wenn Sie ihm direkt bei der ersten Komplikation fast unlösbare Probleme um die Ohren hauen, ist im weiteren Verlauf der Handlung kaum noch eine Steigerung möglich.

Ihr Protagonist muss nicht senkrecht ins Chaos fallen. Es genügt, wenn er langsam und unaufhaltsam darauf zu rutscht und jeder noch so gut erdachte Plan ihn letztendlich doch nur weiter abrutschen lässt.

Achten Sie auch darauf, dass Sie sich (bzw. Ihren Protagonisten) niemals so in die Ecke schreiben, dass Ihnen selbst keine Lösung mehr einfällt, wie Sie ihn dort wieder mit halbwegs heiler Haut herausholen können.

Behalten Sie dafür immer das große Finale im Auge, das Sie zumindest ansatzweise skizziert haben sollten. Wenn das „Ja, aber / Nein, und zusätzlich“-Ende, das Sie für eine Sequenz angedacht haben, Ihnen das Ende verbaut, sollten Sie entweder umdisponieren oder zumindest eine Idee für ein anderes, mindestens ebenso gutes Ende im Hinterkopf haben, das zu dieser neuen Richtung der Handlung passt.

Spätestens, wenn Sie bei ca. 75-80% der Ziellänge Ihres Romans angekommen sind, sollten Sie Kurs auf den „dunkelsten Moment“ nehmen, also den Augenblick, in dem alles für Ihren Protagonisten wahrhaft hoffnungslos aussieht. Jetzt kommt die Sequenz, in der Sie Ihrem Protagonisten wirklich den Boden unter den Füßen wegziehen und ihn auf die Bretter gehen lassen.

Und damit haben Sie dann den perfekten Übergang zu Ihrem großen Finale erreicht. Dieser Teil schreibt sich dann wieder fast von alleine, zumal die Handlung jetzt nochmal deutlich an Fahrt aufnimmt. Und ehe Sie sich versehen, können Sie das magische Wörtchen ENDE unter das letzte Kapitel Ihres Romans schreiben.

Probieren Sie es einfach selbst einmal aus. Es lohnt sich.


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Setting als Charakter

Immer wieder stoße ich beim Lesen auf Romane, bei denen ich das Gefühl habe, dass der Autor das Setting lediglich nach der Optik ausgewählt hat – ähnlich wie eine schöne bunte Kulisse im Theater. Dabei kann Setting doch so viel mehr sein, wenn man es richtig macht.

Setting ist schließlich nicht nur der Ort, an dem die Handlung eines Romans spielt, sondern die Kombination aus Ort und Zeit/Epoche. Ein Roman, der im San Francisco von heute spielt, hat ein völlig anderes Setting als einer, der im San Francisco der 30er Jahre oder gar im San Francisco zur Zeit des großen kalifornischen Goldrausches rund um 1850 spielt.

Ein gutes Indiz für die Autorensünde „Setting als Kulisse“ ist, wenn Sie beim (oder spätestens nach dem) Lesen des Romans das Gefühl haben, dass die Handlung ebenso gut an mindestens einem Dutzend anderer, nicht einmal besonders ähnlicher Orte hätte spielen können.

Wenn also die in New York angesiedelte Handlung genauso gut in Wiesbaden oder in Prag spielen könnte, ist das ein ganz klarer Fall von „Setting als Kulisse“.

Als Autor sollte man seine Handlung nicht nur deshalb an einem fremden, exotischen Ort spielen lassen, weil dieser interessanter und internationaler wirkt als eine normale deutsche Kleinstadt, sondern man sollte das Potential des Settings wirklich ausnutzen.

Das Setting sollte eher wie ein weiterer Charakter die Handlung mit beeinflussen. Überlegen Sie, inwiefern sich das Setting Ihres Romans von Ihrer ganz normalen, persönlichen Alltagswelt unterscheidet:

  • Welche Dinge, die Sie als alltäglich gewöhnt sind, wären dort nicht oder nur auf ganz andere Weise möglich?
  • Welche Dinge gibt es in Ihrem Setting, die es besonders machen? Was gibt es nur dort oder was ist nur dort möglich?
  • Wie könnten diese Unterschiede und Besonderheiten sich auf die Handlung Ihres Romans auswirken?

Beziehen Sie alle Aspekte Ihres Settings in diese Betrachtung mit ein: Klima und Wetter, Flora und Fauna, die Landschaft, typische Berufe und Tätigkeiten der Bewohner, Religion und Politik.

Überlegen Sie, wer in diesem Setting Macht und Einfluss besitzt und wie sich dies auf die Anwohner, Ihre Charaktere sowie die Konflikte und die Handlung Ihres Romans auswirkt.

Das gilt ebenso für Fantasy- und Science-Fiction-Autoren als auch für all jene Autoren, deren Romane in unserer „ganz normalen“, realen Welt spielen.

Wenn Sie also vorhaben, Ihren nächsten Thriller in London spielen zu lassen, sollten Sie sich natürlich sehr gut in dieser Stadt auskennen. Nichts ist peinlicher, als wenn jeder Leser, der schon mal seinen Urlaub dort verbracht hat, alle paar Seiten über Fehler stolpert, die ihn aus dem Lesefluß reißen und die ganze Handlung unglaubwürdig erscheinen lassen.

Setzen wir also mal voraus, dass Sie London wirklich wie Ihre Westentasche kennen – vielleicht von einem längeren Auslandsaufenthalt. Fragen Sie sich dann, was besonders an London ist. Denken Sie an Gebäude und andere mögliche Handlungsorte oder besondere Dinge, die man in London unternehmen könnte.

Ich kenne mich in London überhaupt nicht aus, aber mir fallen spontan der Tower und die Tower Bridge, das „London Eye“ (das größte Riesenrad Europas), Buckingham Palace, der Hyde Park, Westminster Abbey, der Trafalgar Square, Big Ben und natürlich „Tube“ ein, die Londoner U-Bahn, die nicht nur die älteste U-Bahn der Welt ist, sondern auch die längste von ganz Europa.

Erfahrungen vor Ort sind natürlich optimal, aber dank Google, Google Earth, Google Maps, Google Street View, Fotogalerien und YouTube-Videos kann man sich selbst vom heimischen Wohnzimmer aus so ziemlich jeden Ort der Welt sehr detailliert ansehen. Fast alles vom Bahnhof übers Museum bis zum Lokal hat seine eigene Homepage, über die man sich über Öffnungszeiten, Preise u.ä. informieren kann, damit einem hier keine ärgerlichen Flüchtigkeitsfehler unterlaufen.

Kombiniert man das mit ein paar Tagen Internet-Recherche und dem Lesen von Reiseberichten, kann man nicht nur seine vielleicht mittlerweile etwas verblassten und lückenhaften Erinnerungen wieder auffrischen, sondern sogar Orte kennen lernen, an denen man selbst noch niemals war.

Informieren Sie sich dabei auch über die Vergangenheit Ihres Settings, besonders über mysteriöse und vielleicht bis heute ungeklärte Ereignisse der Vergangenheit. Kombinieren Sie all Ihre Notizen miteinander, um auf spannende Szenen zu kommen, die wirklich nur dort spielen können und Ihre Leser tief in die Handlung hinein ziehen.

Der andere Ansatz ist, dass Sie Ihr Setting danach aussuchen, dass es optimal zu Ihrer bereits angedachten Handlung passt. Wenn Ihr Protagonist sich allein und ohne Unterstützung einer Handvoll schwerbewaffneter Terroristen stellen muss, fragt sich jeder klar denkende Leser, warum der Protagonist sich nicht einfach in Sicherheit bringt oder mit seinem Handy die Polizei zur Hilfe ruft.

Damit eine solche Handlung glaubwürdig wirkt, müssen Sie Ihrem Protagonisten alle einfachen Wege verbauen. Und dafür ist das passende Setting das beste Mittel: Wenn Ihr Protagonist beispielsweise ein Leuchtturmwächter auf einer einsamen Insel ein paar Meilen vor der Küste ist und draußen auf See ein wahrer Jahrhundert-Sturm tobt, kann er nicht einfach von der Insel fliehen und auch die Polizei wird weder mit Booten noch mit Hubschraubern rechtzeitig zur Hilfe kommen können. Was natürlich die Frage aufwirft, was die Terroristen ausgerechnet auf dieser kleinen Insel suchen. Haben sie vielleicht die Flugroute der Airforce One in Erfahrung gebracht und wollen diese von der Insel aus mit einer Boden-Luft-Rakete abschießen?

Allein solche Fragen bringen das kreative Räderwerk im Kopf schon wieder zum Rattern. Wo könnte sich der Protagonist vor seinen Feinden verbergen? Gibt es vielleicht Höhlen in der Steilküste der Insel, die nur einen Zugang von der Seeseite haben? Und was könnte er dort entdecken? Haben vielleicht Schmuggler diese Höhle früher genutzt und dort etwas zurückgelassen, das dem Protagonisten heute helfen kann?

Das alles sind Fragen, die sich nur aus dem Setting des Romans herleiten und die, wenn man es richtig macht, Handlung und Setting zu einer untrennbaren Einheit miteinander verbinden. Nehmen Sie sich die Zeit dafür. Glauben Sie mir: es lohnt sich.


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NaNoWriMo 2015 – Countdown zum Schreibmarathon…

Der November naht mit großen Schritten – und mit ihm der diesjährige NaNoWriMo: der National Novel Writing Month.

Wie jedes Jahr werden auch 2015 wieder hunderttausende Autoren weltweit an den Start gehen, um die Rohfassung ihres Romans in gerade mal 30 Tagen zu schreiben. Und genau wie in den vergangenen Jahren wird es wohl auch 2015 nicht einmal jeder fünfte von ihnen über die Ziellinie schaffen.

Wenn Sie also vorhaben, dieses Jahr am NaNoWriMo teilzunehmen, sollten Sie jetzt schon daran arbeiten, Ihre Erfolgschancen zu verbessern.

Seit Donnerstag Morgen ist die Webseite für den diesjährigen NaNoWriMo live, so dass Sie jetzt schon Ihren Benutzeraccount anlegen bzw. auf den neuesten Stand bringen und alle Daten für Ihr geplantes Romanprojekt eintragen können – also den Arbeitstitel, eine Kurzbeschreibung und eventuell ein selbstgestaltetes Buchcover-Mockup.

Planen Sie Ihren Erfolg…

„Moment mal: ‚geplantes‘ Romanprojekt?“ wird jetzt so mancher Leser irritiert fragen. Liegt nicht das Ziel des NaNoWiMo darin, einen Roman ganz ohne Planung von Null auf Hundert innerhalb von 30 Tagen in die Tasten zu hämmern?

Dies ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Auch wenn der NaNoWriMo-Gründer Chris Baty beim ersten NaNoWriMo 1999 ohne jegliche Vorplanung mit seinem Romanprojekt startete, worüber er auch in seinem Buch „No Plot? No Problem!“ schreibt, ist eine gründliche Vorplanung keinesfalls tabu, sondern wird von den Veranstaltern sogar ausdrücklich empfohlen.

Sie dürfen lediglich vor dem 01.11.15 nicht mit dem eigentlichen Schreiben der Rohfassung zu beginnen. Solange Sie „nur“ Notizen zu Charakteren, Worldbuilding, Handlungssträngen, Szenen etc. sammeln, ist alles bestens.

Sie haben also noch volle drei Wochen Zeit, um Ihren Roman zu planen und so gut vorzubereiten, dass Sie nach dem Startschuss am ersten November direkt losschreiben können und in den darauf folgenden Wochen optimal mit Ihrem Roman voran kommen.

Wie detailliert Sie Ihren Roman im Vorfeld planen, ist natürlich eine Sache der persönlichen Präferenzen. Manche Autoren fühlen sich am wohlsten, wenn sie mit einer präzisen Gliederung für jede einzelne Szene loslegen können, während andere sich lieber kopfüber und lediglich mit ein paar groben Notizen bewaffnet ins kalte Wasser stürzen.

Wenn Sie noch keine Idee für eine Romanhandlung haben, kann ich Ihnen zwei effektive Techniken empfehlen, mit denen Sie noch an diesem Wochenende den Grundstock für eine gelungene Romanhandlung legen können:

  1. Tag-Team-Plotting: Mit dem von mir entwickelten Tag-Team-Plotting können Sie nicht nur innerhalb weniger Stunden das Grundgerüst für eine spannende Romanhandlung zusammen zimmern, sondern sorgen zugleich dafür, dass diese innovativ und weitab der üblichen Klischees verläuft. Alle Details und eine ausführliche Anleitung finden Sie hier.
  2. Die Casting-Kiste: Bei dieser Erweiterung zur Assoziativen Ideen-Matrix aus meinem Buch „Kreativ mit der Matrix“ starten Sie ausschließlich mit möglichen Romancharakteren und lassen mit den Regeln der Assoziativen Ideen-Matrix die Funken zwischen diesen Charakteren sprühen. Alle Details samt Anleitung finden Sie in der Ausgabe Juli 2013 des WritersWorkshop E-Zines. Alle weiterführenden Details zur Assoziativen Ideen-Matrix finden Sie im Buch „Kreativ mit der Matrix„.

Egal, welche von beiden Techniken Sie verwenden, um das Fundament für Ihren NaNoWriMo-Roman zu legen – innerhalb weniger Stunden dürfte sich die Handlung schon ziemlich genau abzeichnen.

Wenn Sie nach dieser ersten Phase noch mehr Ideen für Ihre Romanhandlung benötigen (was mit Sicherheit der Fall sein wird – egal ob jetzt oder erst während des NaNoWriMo ;-)) kann ich Ihnen die Assoziative Ideen-Matrix aus meinem Buch „Kreativ mit der Matrix“ ans Herz legen. Regelmäßige Leser meines Blogs und des WritersWorkshop E-Zines dürften das Buch bereits in ihrem virtuellen Bücherregal haben – allen anderen kann ich diese äußerst effektive Ideenfindungs-Technik nur empfehlen.

„Die Sterne stehen günstig…“

Auch wenn ich nicht an Astrologie glaube, sind die Voraussetzungen für einen erfolgreichen NaNoWriMo in diesem Jahr optimal: Der erste November ist ein Sonntag, so dass Sie (unabhängig davon, in welchem Bundesland Sie wohnen und arbeiten) direkt mit Volldampf loslegen können, ohne dass dies mit Ihrer Arbeit kollidiert – und auch danach geht es optimal weiter.

Vom 02.11.15 bis zum 29.11.15 haben Sie vier volle Kalenderwochen zum Schreiben Ihrer Rohfassung zur Verfügung, da der November in diesem Jahr nicht mitten in einer Kalenderwoche beginnt. Das passt natürlich optimal zur klassischen 4-Akt-Struktur: also ein Akt pro Kalenderwoche.

Versuchen Sie, von Montag bis Freitag jeweils mindestens 1.800 Wörter zu schreiben (50.000 Wörter Ziellänge / 28 Tage = 1.786 Wörter). Solange Sie darauf achten, dass Sie immer schon wissen, was Sie schreiben wollen, wenn Sie sich zum Schreiben an den PC setzen, sind 1.000 Wörter pro Stunde durchaus machbar (entspricht nicht mal 20 Wörtern pro Minute). Wir reden hier also von knapp zwei Stunden pro Tag, die Sie fürs eigentliche Schreiben Ihres Romans einplanen müssen – vielleicht eine Stunde morgens vor der Arbeit und eine Stunde abends statt einer langweiligen Fernsehsendung.

Damit haben Sie optimale Voraussetzungen geschaffen, um am Wochenende den jeweiligen Akt (siehe unten) erfolgreich abzuschließen. Meist hat man ja am Wochenende mehr Zeit zum Schreiben als werktags – das rein mathematische Wochenziel von mindestens 12.500 Wörtern pro Woche sollte also locker zu erreichen sein, wenn man mengenmäßig bis Freitag im Plan liegt. Und selbst wenn Sie am Wochenende feststellen, dass Sie noch ein paar tausend Wörter mehr schreiben müssen, um den aktuellen Akt Ihres Romans sauber abzuschließen, ist das Wochenende der perfekte Zeitpunkt, um eine kleine „Sonderschicht“ einzulegen. ;-)

Achten Sie lediglich darauf, dass Sie am Ende der Woche nicht weniger als 12.500 neue Wörter geschrieben haben. Wenn möglich sollten Sie versuchen, besonders die beiden mittleren Akte Ihres Romans auf jeweils mindestens 15.000 Wörter auszubauen, da der vierte Akt (das große Finale) erfahrungsgemäß oft etwas kürzer und rasanter ausfällt und man hier mit Pech nicht auf die vollen 12.500 Wörter kommt. In dem Fall haben Sie natürlich eine bessere Ausgangssituation, wenn Sie für Ihren vierten Akt nur noch runde 7.500 Wörter (= ca. 30 Seiten) brauchen, um das Gesamtsoll von 50.000 Wörtern für Ihren NaNoWriMo-Roman voll zu machen.

Hier finden Sie eine kurze Auflistung der vier Akte, von denen Sie sich einen pro voller Kalenderwoche vornehmen sollten. Dabei handelt es sich natürlich nur um ein grobes Gerüst, doch gerade dadurch ist es so flexibel, dass es sich auf fast alle Genres anwenden lässt.

Woche 1 (02.11-08.11): Einführung der Hauptcharaktere und des zentralen Konflikts bis zum „Punkt ohne Wiederkehr“, an dem der Protagonist bereits bis zum Hals im Abenteuer steckt.

Woche 2 (09.11-15.11): Ansteigende Spannung und Erhöhung des Drucks auf den Protagonisten bis zum Wendepunkt an der Mitte des Romans. Meist bestimmt in der ersten Hälfte des Romans der Antagonist die Handlung, während der Protagonist in erster Linie auf die Bedrohung reagiert. Rund um den Mittelpunkt des Romans kommt dem Protagonisten (meist durch eine mittlere Katastrophe) die Erkenntnis, dass er den Spieß umdrehen und das Spiel aktiv nach seinen eigenen Regeln spielen muss, wenn er gewinnen will.

Woche 3 (16.11-22.11): Es geht weiter bis zum „dunkelsten Moment“, dem größten Rückschlag für den Protagonisten, an dem es wirklich so aussieht, als ob er keine Chance mehr hätte, sein Ziel zu erreichen. Die Niederlage muss so heftig sein, dass sie dem Protagonisten regelrecht den Boden unter den Füßen wegzieht.

Woche 4 (23.11-29.11): Der Protagonist rappelt sich wieder auf und startet einen letzten, verzweifelten Versuch, bei dem er alles auf eine Karte setzt. Oft erkennt er erst durch die schwere Niederlage am Ende des dritten Akts, was wirklich wichtig ist und wo seine wahre Stärke liegt, mit der er das Blatt in letzter Minute noch einmal wenden kann. Großes Finale, Showdown, Ende!

Wenn Sie ganz auf Nummer Sicher gehen wollen, planen Sie bereits jetzt für den 30.11.15 einen Tag Urlaub ein. Wenn Sie rechtzeitig mit der Rohfassung Ihres Romans fertig sind, können Sie diesen Tag nutzen, um sich vom stressigen NaNoWriMo zu erholen und sich mal eine gemütliche Auszeit zu gönnen. Doch wenn Sie auf Ihrer eigenen Heldenreise wegen unerwarteter Umstände zurückgeworfen wurden, können Sie den 30.11 noch für einen letzten Endspurt nutzen, um es doch noch rechtzeitig über die 50.000-Wörter-Ziellinie zu schaffen und Ihr fertiges Manuskript hochzuladen.

Ich wünsche allen diesjährigen NaNoWriMo-Teilnehmern viel Spaß bei den Vorbereitungen und viel Erfolg im November!


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Software-Tipp: Der Android Story-Plot-Generator

Unter Schriftstellern gibt es zwei Fraktionen: die einen haben ein Ideenarchiv mit so vielen im Laufe der Jahre gesammelten Ideen für Romane und/oder Kurzgeschichten, dass sie älter als Methusalem werden müssten, um auch nur die Hälfte davon umsetzen zu können, während die anderen sich schwer tun, eine halbwegs vielversprechende Idee für einen Roman zu finden.

Beim Stöbern im Internet bin ich auf eine Android-App für Smartphones und Tablets gestoßen, die für beide Fraktionen nützlich sein kann: der „Story-Plot-Generator“.

Ob man zu viele oder zu wenige Ideen hat – beides kann zu einer Blockade führen. Interessanterweise wird man meist kreativer, wenn man sich selbst Restriktionen auferlegt, mit denen man arbeiten muss. „Schreibe einen Roman“ ist viel zu allgemein. „Schreibe einen Fantasy-Roman“ ist immer noch zu allgemein. Doch wenn man uns eine genau definierte Aufgabe stellt (die aber immer noch genügend Spielraum für die eigene kreative Entfaltung lässt), haben wir einen festen Rahmen, innerhalb dessen wir unserer Kreativität freien Lauf lassen können: „Schreibe einen Fantasy-Roman über einen Zauberlehrling, der in einem tropischen Dorf lebt und sich bei dem Versuch, jemanden aus der Unterwelt zurück zu holen, mit verschiedenen mythischen Kreaturen verbünden muss.“

Ich habe im Internet schon häufiger Seiten gefunden, die aus bestimmten Zutaten zufällige Romanhandlungen zusammenwürfeln, doch die Ergebnisse solcher Generatoren waren meist eher skurril als wirklich geeignet, um auf ihrer Basis einen Roman zu planen.

Entsprechend gering war meine Erwartungshaltung hinsichtlich dieser Android-App – und umso überraschter war ich, als das kleine Programm wirklich gute Ideen ausspuckte, die das kreative Räderwerk in meinem Unterbewusstsein direkt auf Hochtouren rotieren ließen.

Im Gegensatz zu den im Internet verbreiteten Generatoren, die meist auf ein Genre spezialisiert sind (und selbst dort wenig Verwendbares ausspucken), erzeugt der „Story-Plot-Generator“ auf Wunsch Plot-Ideen für alle möglichen Genres: Action/Thriller, Drama, Science-Fiction, Krimi, Fantasy, Horror/Spannung, Romanze, Superhelden und Apokalypse – wobei die beiden letzteren Genres der kostenpflichtigen Pro-Version vorbehalten sind.

Denn, um das vorweg zu nehmen: der „Story-Plot-Generator“ ist in zwei Versionen erhältlich. Die kostenlose Version ist minimal abgespeckt (zwei fehlende Genres) und finanziert sich über eingeblendete Werbung, während die Pro-Version alle Genres bietet und einem zudem auch noch die lästige Werbung erspart. Und da diese Pro-Version gerade mal 84 Cent (!) kostet, lohnt sich der Kauf unbesehen.

Die Handlungsideen, die das Programm generiert, werden abhängig vom gewählten Genre aus bestimmten Elementen wie z. B. beim Thriller aus „Situation“, „Detail“, „Complication“ und „Objective“ generiert.

Wähle ich also als Genre Action/Thriller aus, schlägt das Programm mir direkt folgende Plot-Idee vor (die ich der Einfachheit halber schnell ins Deutsche übersetzt habe, da das Programm ausschließlich auf Englisch erhältlich ist):

  • Situation: Du erwachst in einer Höhle.
  • Detail: Du trägst eine goldene Armbanduhr.
  • Komplikation: Eine verschwundene Person ist im Besitz von Informationen, die du brauchst.
  • Zielsetzung: Du musst dich rächen.

Klingt schon mal recht interessant, oder? Mir fallen hier spontan einige Ideen und offene Fragen ein, aus denen man eine spannende Krimi-Handlung entwickeln könnte: Wie ist man in die Höhle gekommen? Ist man gefesselt oder frei? Wurde man dort für tot liegen gelassen? Wenn ja, hat man vielleicht eine handfeste Amnesie und muss erst einmal anhand der goldenen Armbanduhr (die vielleicht eine Gravur/Widmung an der Unterseite hat) herausfinden, wer man eigentlich ist.

Noch eine Plot-Idee gefällig?

Du befindest dich in einem teuren Wagen mit getönten Scheiben. Du hörst das Geräusch eines Motors. Dein Arm ist gebrochen. Du musst in ein anderes Land fliehen.

Auch hier rattert das kreative Räderwerk sofort los: Ist es der eigene Wagen, hat man sich dort auf der Flucht versteckt oder wurde man entführt? Dass man „das Geräusch eines Motors hört“ wirkt nicht so, als ob man selbst am Steuer sitzt. Wer fährt also den Wagen – Freund oder Feind?

Wählt man ein anderes Genre, ändern sich auch die Elemente, aus denen das Programm die Handlungsidee zusammenstellt. Für „Romanze“ haben wir beispielsweise „Theme“ statt „Objective“, woraus sich dann Handlungsideen wie diese ergeben:

  • Situation: Eine freundschaftliche Tennis-Rivalität entwickelt sich unerwartet in eine romantische Beziehung.
  • Komplikation: Einer der Charaktere hat Angst, eine feste Beziehung einzugehen.
  • Thema: Genieße jeden Tag.
  • Detail: Die beiden Charaktere nehmen zusammen Tanzstunden.

Gut, das ist jetzt nicht unbedingt mein Genre, aber selbst hier kommen mir sofort ein paar Ideen, mit denen man dieses Gerüst zu einer kompletten Handlung ausbauen könnte.

Die vom Programm generierten Handlungsideen muss man sich nicht unbedingt von Hand aufschreiben, sondern kann diese aus der App heraus per Mail an sich selbst versenden.

Gefällt einem die ausgeloste Idee nicht, kann man sich mit einem einzigen Knopfdruck eine neue Handlungsidee generieren lassen. Ich würde allerdings empfehlen, über jede Handlungsidee erst mal 10-15 Minuten nachzudenken und sich dabei Notizen zu machen. Niemand zwingt einen, jedes Detail der Handlungsidee 1:1 zu übernehmen – und vielleicht kommt einem beim Nachdenken ja eine zwar ähnliche, aber noch bessere Idee in den Sinn.

Der einzige kleine Nachteil der App ist, dass sie ausschließlich auf Englisch verfügbar ist, doch wer über ein halbwegs passables Schul-Englisch verfügt, sollte hier keine Probleme haben – und sollte man doch mal einen bestimmten Begriff nicht kennen, gibt es ja immer noch Online-Wörterbücher wie dict.cc.

Für die Weiterentwicklung der Handlungsideen aus dem Story-Plot-Generator kann ich die Assoziative Ideen-Matrix aus meinem Buch „Kreativ mit der Matrix“ empfehlen:

  1. Machen Sie sich erst ein paar Gedanken zur Handlungsidee und machen Sie sich dabei handschriftliche Notizen. Die Ideen, die Sie hierbei sammeln, gehen natürlich schon deutlich über die ursprüngliche Handlungsidee hinaus.
  2. Sehen Sie Ihre Notizen durch und suchen Sie zunächst 12 Begriffe heraus, die für Ihre Handlungsidee am wichtigsten sind. Im Beispiel mit der Person, die in der Höhle erwacht, könnten das z.B. folgende Begriffe sein: Höhle, goldene Armbanduhr, Amnesie, Rache, verschwundene Person, Informationen, Entführung, Beweise, Politiker, Korruption, Schließfach, Fälscher.
  3. Die so gefundenen Begriffe verwenden Sie für die Karten der Assoziativen Ideen-Matrix (zunächst mal eine kleine 3×4-Matrix), mischen diese und legen sie aus. Nach einem einzigen Durchgang können Sie meist schon recht gut abschätzen, ob die Geschichte genügend Potential hat.
  4. Wenn Sie beim ersten Durchlauf mit der Assoziativen Ideen-Matrix genügend interessante Ideen gefunden haben, können Sie eine weitere Runde mit einer 20-Karten-Matrix anschließen. Sortieren Sie aus den ursprünglichen 12 Karten jene Karten aus, die sich als Sackgasse/Holzweg herausgestellt haben, und ergänzen Sie stattdessen neue Begriffe aus den in Schritt 3 gefundenen Ideen, bis Sie auf insgesamt 20 Karten kommen.
  5. Beschriften Sie wieder Ihre Karten, mischen diese und legen diese zu einer 4×5-Matrix aus. Dieser Durchlauf durch die Assoziative Ideen-Matrix dauert zwar aufgrund der größeren Kartenzahl etwas länger, doch dafür werden Sie am Ende mehr als genug zielgerichtete und zusammenhängende Ideen gesammelt haben, um daraus eine komplette Romanhandlung zu entwickeln.

Das Prinzip und die Funktionsweise der Assoziativen Ideen-Matrix an dieser Stelle noch einmal komplett zu erläutern, würde leider den Rahmen dieses Artikels sprengen. Wer „Kreativ mit der Matrix“ gelesen hat, weiß, was ich mit den einzelnen Schritten meine – allen anderen kann ich das Buch wärmstens empfehlen. ;-)

Den Story-Plot-Generator finden Sie im Google-Play-Store unter folgenden Links:

Probieren Sie das Programm einfach mal aus. Es macht Spaß und regt die Kreativität an – und eine übers Smartphone rasch generierte Story-Idee vor einem langweiligen Meeting oder einer längeren Autofahrt gibt einem etwas, womit man sich gedanklich beschäftigen kann. ;-)


Cui bono? Wie Sie mit nur einer Frage eine simple Grundidee zu einer komplexen Romanhandlung ausbauen

Auf eine Idee für eine Romanhandlung zu kommen, ist recht einfach: Man braucht nur einen Protagonisten, der etwas will, das er nicht ohne weiteres erreichen kann (da ihm z.B. der Antagonist dabei im Wege steht) – oder einen Antagonisten, dessen Plan die Welt des Protagonisten aus dem Gleichgewicht bringt und den der Protagonist daher aufhalten muss.

Doch damit hat man leider noch lange nicht genug Material, um einen kompletten Roman zu schreiben. Die Handlung ist damit immer noch zu rudimentär, zu gradlinig und zu leicht durchschaubar. Für einen kompletten Roman (wie z.B. ein NaNoWriMo-Projekt) braucht man mehr Komplikationen, mehr Vielschichtigkeit und zusätzliche Konflikte, damit einem nicht spätestens auf halbem Wege der Stoff ausgeht und die Spannung im Sande versickert.

Egal wie erbittert und kreativ sich Protagonist und Antagonist wieder und wieder bekämpfen, austricksen und sich gegenseitig in die Suppe spucken – auf Dauer wird das langweilig. Spannung ist nicht ein Tauziehen zwischen Gut und Böse, bei dem abwechselnd mal der eine und mal der andere vorne zu liegen scheint.

Wahre Spannung kommt auf, wenn weitere Personen mit eigenen Motiven aktiv in die Handlung eingreifen – egal ob sie dem Helden helfen, ihn behindern, ihn in die Irre führen oder in gar offen bekämpfen. Je mehr solche Einflussfaktoren es gibt, desto unvorhersehbarer wird die Handlung und desto weniger wird der Leser in der Lage sein, das Buch vor der letzten Seite zur Ende zu legen.

Das klingt nach einer schwierigen Aufgabe, doch in Wahrheit brauchen Sie nur Stift, Papier, ein wenig Zeit – und eine einzige Frage…

Cui bono: Wem nützt es?

In polizeilichen Ermittlungen oder Gerichtsprozessen wird gerne die Frage „Cui bono?“ gestellt – ein lateinischer Ausdruck, der auf den römischen Staatsmann Marcus Tullius Cicero zurückgeht und frei übersetzt bedeutet: „Wem nützt es?“

In der Kriminalistik dient die Cui-Bono-Frage dazu, den Verdächtigen mit dem besten Motiv zu erkennen. Es liegt immer die Vermutung nahe, dass derjenige, der am meisten von einem Verbrechen profitiert, mittelbar oder unmittelbar dafür verantwortlich ist.

Doch da wir für unseren Roman keinen Verdächtigen suchen, sondern weitere vom zentralen Konflikt betroffene Personen oder Gruppierungen, erweitern wir die Frage des alten Cicero noch etwas und fragen „Wem nützt oder schadet es?“

In Ihrem Roman haben Sie üblicherweise zwei miteinander unvereinbare Ziele: das Ihres Protagonisten und das des Antagonisten. Erreicht Ihr Protagonist sein Ziel, hat der Antagonist damit verloren – und umgekehrt. Im zentralen Konflikt Ihres Romans kann es immer nur einen Sieger geben. Faule Kompromisse oder ein simples „unentschieden“ sind nicht möglich.

Doch neben Ihrem Protagonisten und Ihrem Antagonisten gibt es noch eine ganze Reihe anderer Personen, deren Leben vom Ziel Ihres Protagonisten und/oder vom Ziel Ihres Antagonisten auf die eine oder andere Weise beeinflusst wird. Das Ziel unserer Frage ist es, diese Personen zu identifizieren und zu prognostizieren, ob und in welcher Weise sie aktiv in die Handlung eingreifen werden, um ihre eigenen Interessen zu wahren.

Für unsere Zwecke ist es egal, ob es Ihr Protagonist oder Ihr Antagonist ist, der mit seinem Plan den Ball ins Rollen bringt: Will Ihr Protagonist das Verschwinden seines Onkels aufklären, einen besser bezahlten und interessanteren Job finden oder nach Neuseeland auswandern? Will Ihr Antagonist ein Gemälde aus dem Louvre stehlen, seinen reichen Erbonkel vergiften oder mit aus einem Forschungslabor gestohlenen tödlichen Viren die Regierung erpressen?

Jedes dieser Ziele, ob nun „gut“, „böse“ oder neutral, beeinflusst nicht nur das Leben Ihres Protagonisten bzw. Antagonisten, sondern auch das anderer Menschen. Fragen Sie also: „Wem nützt oder schadet es?“, um weitere interessante Facetten der Handlung aufzudecken.

Die Cui-Bono-Frage in der Praxis

Ein Beispiel: Ihr Protagonist will das mysteriöse Verschwinden seines Onkels aufklären.

Wenn der Onkel beispielsweise auf einer Expedition im Amazonas verschollen ist und sein Wissenschaftler-Kollege für die dort gemeinsam gemachten Entdeckungen ein heißer Kandidat für den nächsten Nobelpreis für Biologie ist, tut sich genügend Konfliktpotential auf.

Die schwangere Freundin Ihres Protagonisten wird nicht gerade begeistert sein, wenn er sich in ein so waghalsiges Abenteuer begeben will – ebensowenig wie sein Chef, der keine Lust hat, einem seiner wichtigsten Mitarbeiter einige Wochen bis Monate unbezahlten Urlaub zu gewähren. Ganz zu schweigen vom Kollegen des verschwundenen Onkels, der nicht das geringste Interesse hat, wenn mehr über die mysteriösen Umstände des Verschwindens bekannt wird.

Wenn Sie ein wenig mit der Cui-Bono-Frage herumspielen, finden Sie mit Sicherheit mindestens ein Dutzend mehr oder weniger wichtiger Charaktere, die vom Plan Ihres Protagonisten tangiert werden. Was wäre z.B., wenn der Vater des Protagonisten hoch verschuldet wäre und seine letzte Chance ist, dass der verschollene Onkel für tot erklärt wird, da er im Testament seines kinderlosen und äußerst wohlhabenden Bruders als Alleinerbe eingetragen ist?

Vielleicht würde er anfangs seinen Sohn sogar bei der Suche unterstützen, in der Hoffnung, Beweise für den Tod seines Bruders zu finden und so die Zeit abzukürzen, bis dieser für tot erklärt und sein Testament vollstreckt wird.

Doch was wäre, wenn er einen geheimnisvollen Brief ohne Absender erhält, in dem angedeutet wird, dass sein Bruder noch lebt? Ist Blut wirklich dicker als Wasser? Würde der Vater Ihres Protagonisten nun versuchen, die Suche nach seinem Bruder zu behindern, damit dieser niemals gefunden wird und er zumindest nach fünf Jahren das Erbe kassieren kann? Oder würde er gar jemanden engagieren, der dem Protagonisten hinterher reist und dafür sorgt, dass der Onkel niemals (oder zumindest nicht mehr lebend) gefunden wird?

Sie sehen, wie sich allein durch die Frage „Wem nützt oder schadet das Ziel des Protagonisten oder des Antagonisten noch?“ eine Handlung innerhalb kürzester Zeit von einere relativ simplen Idee zu einer komplexen Geschichte entwickeln kann.

Das funktioniert natürlich ebenso gut mit Zielen eines Antagonisten.

Ein Beispiel: Der Gangsterboss Corelli will mit seinem Drogenkartell an die Ostküste expandieren und darum das dort herrschende Vinci-Syndikat übernehmen oder zerschlagen. Das tangiert nicht nur die Polizei und die Drogenfahndung, sondern auch die von dieser gewaltsamen Übernahme bedrohten Gangster, die nun auf Corellis Abschussliste stehen. Wie heißt es so schön: Der Feind meines Feindes ist mein Freund?

Ihr Protagonist, ein aufrechter Polizist, hat auch noch eine Rechnung mit Corelli offen:  Seine Frau starb vor Jahren bei einem Bombenanschlag, der eigentlicht ihm galt und der ganz klar Corellis Handschrift trägt. Würde Ihr Protagonist sich hinter dem Rücken seiner Kollegen mit dem Syndikatsboss Vinci verbünden, um den Mörder seiner Frau zur Strecke zu bringen? Wie würde er das vor sich selbst rechtfertigen? Und welche Konsequenzen hätte eine solche Entscheidung auf seine Kollegen oder andere laufende Ermittlungen? Die Geister, die man einmal gerufen hat, wird man bekanntlich nur schwer wieder los…

Die Ideen, die durch die Cui-Bono-Fragetechnik ausgelöst werden, machen eine Handlung nicht nur komplexer, sondern auch realistischer. Wir alle leben in komplexen sozialen Strukturen, die einander stark überlappen: Familie, Firma, Verein, Clique, Religion, politische Partei et cetera… Jede dieser Gruppierungen hat eigene Werte und Ziele, die auch für ihre Angehörigen gelten und die durchaus zu einem handfesten Dilemma durch konkurrierende und nicht miteinander vereinbare Ziele führen können.

Wenn Sie erst einmal damit anfangen, eine vermeintlich einfache Ausgangssituation mit der Cui-Bono-Frage zu durchleuchten, breiten sich die Ideen meist wie ein Buschfeuer in alle Richtungen aus. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass man oft kaum schnell genug schreiben kann, um die ganzen Ideen für mögliche Konflikte, Szenen und überraschende Wendungen zu notieren, die einem dabei in den Sinn kommen.

Probieren Sie es einfach selbst einmal aus. Ich bin sicher, dass die Ergebnisse Sie überzeugen werden.


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Style or Story? Was wirklich zählt, wenn Sie Leser fesseln wollen

Kürzlich hatte ich mit einem befreundeten Schriftsteller eine interessante Diskussion darüber, was wichtiger für den Erfolg eines Romans ist: die Geschichte selbst oder der Stil, in dem sie geschrieben ist.

Natürlich kann man in der Praxis beides nicht hundertprozentig voneinander trennen. Ein guter Roman kann nur aus dem Zusammenspiel von Stil und Story entstehen. Doch welche der beiden Seiten der Medaille ist wichtiger – und was bedeutet das für Autoren?

Wenn man gedanklich Stil und Story auf die Waagschalen einer altmodischen Waage legt, wiegt meiner Meinung nach die Story schwerer.

Stil ist sehr stark Geschmackssache. Jeder Autor hat seinen eigenen Schreibstil, seine individuelle Autorenstimme, die sich im Laufe der Jahre mit zunehmender Übung und Erfahrung immer mehr herauskristallisiert. Manche Autoren schreiben blumig und detailverliebt, andere knapp und pragmatisch wie Hemingway.

Es ist ein wenig wie bei Malern. Während der eine mit wenigen minimalistischen Pinselstrichen eine stimmungsvolle Landschaft auf die Leinwand zaubert, die den Betrachter fasziniert, entwirft ein anderer detailverliebte Kunstwerke, die erst aus dem Zusammenspiel von Farbe, Textur, Licht und Schatten ihre ganze Faszination entwickeln. Während man im zweiten Fall das handwerkliche Können des Künstlers bewundert, lässt der minimalistische Stil des ersten Künstlers der Phantasie des Betrachters mehr Spielraum. Ob man nun das eine oder das andere bevorzugt, ist eine Frage der persönlichen Vorlieben.

So sind beispielsweise die Romane des Autorenduos Douglas Preston / Lincoln Child äußerst erfolgreich. Ich finde ihre Thriller wirklich spannend, doch mit dem Schreibstil kann ich mich absolut nicht anfreunden. Dennoch lese ich weiter, weil mich die Handlung einfach fesselt und ich nach den ersten paar Seiten unbedingt erfahren will, wie es weiter geht. Und je mehr die Handlung an Tempo zunimmt, desto weniger empfinde ich den Schreibstil noch als störend.

Oder nehmen wir die Romane von Dean Koontz. Koontz ist einer meiner Lieblingsautoren, ein echter Künstler, der seine Szenen mit stimmungsvollen Wortgemälden vor dem geistigen Auge des Lesers lebendig werden lässt. Ich genieße seinen Schreibstil, doch in den letzten Jahren bin ich beim Lesen seiner neueren Bücher des Öfteren ins Stocken geraten. Es lag nicht am Stil, der weiterhin unverändert gut ist. Es waren die Geschichten, die mich nicht mehr wirklich fesseln konnten.

Dieser Kontrast macht eines deutlich: Wenn die Handlung gut ist, ist man als Leser eher bereit, einen Schreibstil zu akzeptieren, der einem perönlich nicht so gut gefällt. Aber auch der beste Stil kann einen nicht dazu verleiten, ein Buch weiter zu lesen, dessen Handlung einen nicht wirklich interessiert.

Auch wenn natürlich die Kombination aus einer spannenden Story und einem packenden Schreibstil die Idealvorstellung ist, sollte man beim Schreiben eines Romans dennoch den Schwerpunkt auf die Story legen.

Die Story ist das Skelett des Romans, das alles aufrecht hält. Während man bei der Überarbeitung  nachträglich immer noch am Stil und den einzelnen Formulierungen feilen kann, muss das Grundgerüst stimmen. Hier nachträgliche Änderungen vorzunehmen bedeutet oft, ganze Szenen oder gar Kapitel rauszuwerfen und neu zu schreiben – selbst wenn diese stilistisch äußerst gelungen waren.

Die Story-Seite eines Romans hat drei Eckpfeiler:

  • Faszinierende Charaktere, mit denen der Leser mitfiebert und denen er die Daumen drückt.
  • Große Konflikte, bei denen es für die Charaktere viel zu gewinnen und noch mehr zu verlieren gibt.
  • Eine realistisch wirkende Romanwelt mit einer in sich geschlossenen Logik, die der Leser akzeptieren kann.

Zwischen diesen Eckpfeilern spinnt man als Autor ein dichtes Netz aus Plot und offenen Fragen.

Der Plot ist die konkrete, durch Ursache und Wirkung verknüpfte Abfolge der Ereignisse. Für jede Szene der Haupthandlung stellt man sich als Autor die Fragen:

  • Was ist das Ziel / der Plan des Protagonisten?
  • Wer oder was steht ihm im Weg / auf welche Probleme stößt er dabei?
  • Was geht schief bzw. wie erreiche ich es, dass der Protagonist anschließend noch mehr Probleme als vorher hat?
  • Wie kann ich den Einsatz erhöhen und so noch mehr Druck und Spannung aufbauen?
  • Welchen neuen Plan fasst der Protagonist, um auf diese neue Entwicklung zu reagieren?

Um den Leser zusätzlich zur spannenden Handlung noch tiefer in Ihr Buch zu ziehen, durchziehen Sie die Handlung mit offenen Fragen, auf die der Leser unbedingt die Antwort erfahren möchte. Machen Sie den Leser neugierig. Hierfür reicht nicht die zentrale Frage „Wird der Held es am Ende schaffen, sein Ziel zu erreichen?“, sondern Sie müssen dafür sorgen, dass es zu jedem Zeitpunkt der Handlung mindestens drei bis fünf offene Fragen gibt, die dem Leser unter den Nägeln brennen. Bevor Sie eine davon im Verlauf Ihrer Handlung auflösen, werfen Sie eine neue Frage auf, so dass der Leser ständig vor neuen Fragen und Rätseln steht.

Wenn Ihnen das gelingt, wird Ihr Schreibstil für den Leser zweitrangig. Damit will ich nicht sagen, dass er unwichtig wird. Aber es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass Ihr Stil niemals allen Lesern gefallen kann – dafür sind die persönlichen Vorlieben der Leser einfach zu unterschiedlich. Was der eine liebt, das lässt den anderen kalt.

In Sachen Schreibstil sollten Sie daher in erster Linie darauf achten, dass Ihr Stil den Leser nicht beim Lesen stolpern lässt oder ihn gar aus der Handlung heraus reißt. Korrekte Rechtschreibung und Grammatik sind dafür natürlich eine Grundvoraussetzung. Ansonsten gilt: Im Zweifelsfall lieber kürzere Sätze als lange, in sich verschachtelte Bandwurmsätze. Möglichst wenig Adjektive und erst recht Adverbien.

Vermeiden Sie lange Beschreibungen und arbeiten Sie Details lieber dynamisch in die Handlung ein. Gerade bei Details ist weniger oft mehr. Lieber drei charakteristische, aussagekräftige Details, die dafür sorgen, dass sich der Rest des Bildes wie von Zauberhand vor dem geistigen Auge des Lesers ergänzt, als ihn mit langen Beschreibungen zu langweilen – egal wie malerisch diese geschildert werden.

Als letzte und wichtigste Stilprüfung sollte man sich seinen eigenen Text laut vorlesen. Die Stellen, die sich beim Vorlesen holprig anfühlen oder an denen man selbst hängen bleibt, sind die Stolpersteine, an denen sich später auch Ihre Leser stören würden. Schleifen Sie diese Stolperstellen glatt, bis sich Ihr Text flüssig liest.

Damit haben Sie eine gute Basis erreicht: einen Schreibstil, der unaufdringlich im Hintergrund bleibt und es dem Leser erlaubt, Ihre Romanhandlung zu entdecken und zu genießen. Und ab diesem Zeitpunkt zählt in erster Linie, ob Sie ein guter Geschichtenerzähler sind, der seine Leser mit einer spannenden Geschichte, interessanten Charakteren und überraschenden Wendungen bei der Stange halten kann.


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Serendipität ist erlernbar

Vor kurzer Zeit hatte ich auf Twitter anlässlich eines Schreibtipps eine interessante Diskussion mit verschiedenen Autoren. Es ging dabei um das Thema, ob man, wenn man mit dem Schreiben eines Romans beginnt, bereits das Ende der Handlung kennen sollte, oder ob es nicht doch genügt, lediglich eine Idee für einen interessanten Anfang zu haben.

Bei solchen Diskussionen treffen wieder mal die unterschiedlichen Auffassungen der „Pantser“, oft auch als „Gärtner“ oder „organische Schriftsteller“ bezeichnet, und die der „Outliner“ (auch bekannt als „Architekten“, „Plotter“ oder „Planer“) aufeinander.

Im Gegensatz zu den „Outlinern“, die niemals mit dem Schreiben der Rohfassung beginnen würden, bevor sie nicht eine sehr genaue Vorstellung vom Verlauf und dem Ende ihrer Handlung haben, starten „Pantser“ das Schreiben eines Romans oft lediglich mit einer groben Idee. Sie beginnen mit dem Schreiben, ohne zu diesem Zeitpunkt notwendigerweise bereits das Ende (oder auch nur ein mögliches Ende) Ihrer Romanhandlung zu kennen. Die Inspiration beginnt bei ihnen sehr oft mit einer Variante der Frage „Was wäre, wenn…?“

Bekannte Beispiele für diese Art von Schriftstellern sind die Bestsellerautoren Stephen King und Lee Child, die beide steif und fest behaupten, dass sie ihre Romane niemals im Voraus planen.

Pantser haben gegenüber Outlinern einen entscheidenden Vorteil: Sie können sofort spontan loslegen, ohne vorher eine trockene Planungsphase durchlaufen zu müssen, die sie als lästige und unnötige Zwangsjacke für ihre Kreativität abtun. Sie lassen sich von ihrer Kreativität bzw. ihrem Unterbewusstsein während des Schreibens mit neuen Ideen und Serendipitäten überraschen.

Dafür haben sie gegenüber den Outlinern den Nachteil, dass ihre Rohfassungen oft wesentlich chaotischer und unstrukturierter sind als die der Outliner, die jeden Schritt der Reise schon im Vorfeld sorgfältig geplant hatten. Das Totholz aus offen gebliebenen Enden, niemals aufgegriffenen Hinweisen oder mitten in der Handlung spurlos verschwundenen Charakteren kann den Aufwand für die Überarbeitung eines solchen Manuskripts locker mehr als verdoppeln.

Doch dieses Manko der „Pantser“ lässt sich zumindest teilweise kompensieren, indem man ganz bewusst das Herbeiführen von Serendipitäten trainiert – jenen überraschenden Aha-Momenten, in denen sich scheinbar unzusammenhängende Details nachträglich zu einem wichtigen Handlungselement zusammenfügen. Solche Serendipitäten sind, wenn sie einem gelingen, oft noch besser und für den Leser verblüffender als fast alles, was man als Outliner am virtuellen Reißbrett entwerfen könnte.

Was sind Serendipitäten und wie kann man sie trainieren?

Serendipität ist die Bezeichnung für eine zufällige Entdeckungen, die sich zwar wunderbar ins Bild fügt, nach der man aber eigentlich gar nicht gesucht hatte. Ein gutes Beispiel für Serendipität ist die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus. Eigentlich hatte Kolumbus sich aufgemacht, um einen Seeweg nach Indien zu finden. Was er fand, war Amerika.

Serendipität beim Romanschreiben ist, wenn Sie ganz spontan in einem Ihrer früheren Kapitel eine bestimmte Figur eingebracht haben, weil es Ihnen damals einfach als gute Idee erschien, ohne dass Sie zu diesem Zeitpunkt bereits eine konkrete Idee gehabt hätten, was Sie mit dieser Figur anfangen sollen. Einige Kapitel später liefert Ihr Unterbewusstsein Ihnen plötzlich die Idee, dass diese Person vielleicht einen wichtigen Hinweis haben könnte, da sie sich zu einem gewissen Zeitpunkt an einem ganz bestimmten Ort aufgehalten hatte. Ein schöner Gedankenblitz, den Sie direkt umsetzen – und nachher im fertigen Roman sieht alles für den Leser so aus, als ob Sie das von Anfang an geplant hätten und die Figur nur deshalb anfangs in die Handlung hinein geschrieben hatten.

So etwas ist natürlich Trainingssache. Wenn Sie schon jahrelang schreiben, ohne sich an einen festen Plan zu halten, jongliert Ihr Unterbewusstsein ohnehin im Hintergrund permanant mit den ganzen Bällen, Kegeln, rotierenden Motorsägen und brennenden Hamstern, die Sie ihm beim spontanen Schreiben so nonchalant zuwerfen. Und wenn es die Möglichkeit sieht, einen dieser noch scheinbar nutzlos in der Luft schwebenden Gegenstände wie ein passendes Puzzleteil an einer geeigneten Stelle einzusetzen, liefert es Ihnen den dazu passenden Gedankenblitz.

Diese nützliche Fähigkeit kann man sogar trainieren. So können Sie, wenn Sie beim Schreiben die ganz spontane Idee haben, eine bestimmte Person, einen Gegenstand oder ein bestimmtes Ereignis in die Handlung hinein zu schreiben, parallel dazu eine Karteikarte mit allen Details dazu, die Sie bereits wissen (bzw. die Sie schon auf den Seiten Ihres Romans erwähnt haben) anfertigen und auf einen Stapel „offene Punkte“ legen.

Wichtiger Tipp: Notieren Sie unbedingt (z.B. auf die Rückseite der Karteikarte), in welchem Kapitel bzw. welcher Szene Sie dieses Detail eingebracht haben. Warum, sage ich Ihnen gleich…

Während Sie nun Ihrem Unterbewusstsein weiter diverse Gegenstände zuwerfen, mit denen es jonglieren soll, wächst Ihr Kartenstapel langsam, aber unaufhaltsam. Damit Sie diese Dinge nicht aus den Augen verlieren und am Ende nicht zu viele lose Enden in der Rohfassung Ihres Romans flicken müssen, sollten Sie diesen Karteikartenstapel einmal täglich, idealerweise abends kurz vor dem zu Bett gehen, durchlesen bzw. durcharbeiten.

Fragen Sie sich bei jeder Karte: Basierend auf dem, was ich bis jetzt über die Handlung weiß – was könnte diese Person, dieser Hinweis oder dieser Gegenstand bedeuten?

Oft genug macht es früher oder später „klick“, und Sie wissen auf einmal ganz genau, was diese Information zu bedeuten hat. Der Kugelschreiber mit dem Monogramm auf dem Schreibtisch gehörte dem ermordeten Industriellen und der Penner mit den verdächtig neu aussehenden Schuhen hatte diese der Leiche des verschwundenen Privatdetektivs abgenommen, die niemals gefunden wurde. Heureka!

Oft haben Sie diese Ideen nicht einmal, während Sie Ihre Karten durchsehen, sondern erst am nächsten Morgen oder irgendwann im Laufe des Tages, während Sie gerade irgendeiner langweiligen bzw. geistig anspruchslosen Tätigkeit nachgehen. Autofahren, Bügeln oder Rasen mähen sind dafür ebenso geeignet wie ein entspannendes Wannenbad. Wichtig ist, dass Sie Ihr Unterbewusstsein regelmäßig (also täglich!) abends neu auf die noch offenen Punkte ansetzen und ihm den Auftrag geben, sich einen Reim darauf zu machen. Gerade über Nacht arbeitet Ihr Unterbewusstsein auf Hochtouren, um in Form von Träumen die Erlebnisse des Tages und alles, was Ihnen sonst noch so im Kopf herum geht, zu verarbeiten. Und die Dinge, mit denen Sie sich zuletzt beschäftigt haben (in dem Fall die offenen Punkte Ihrer Romanhandlung) haben eine besonders hohe „Verarbeitungspriorität“.

Dennoch wird es immer Dinge geben, für die auch Ihr Unterbewusstsein keinen passenden Platz findet – oder zumindest keinen, der Ihnen gefällt. Sie sind der Autor und es steht Ihnen frei, jede Idee, die Ihr Unterbewusstsein Ihnen einflüstert, zu verwerfen und es wieder an die Arbeit zu schicken: „Nette Idee, aber passt nicht. Probiers nochmal.“

Wenn Sie Ihren Roman fertig geschrieben haben, werden Sie mit ziemlicher Sicherheit noch einige Karteikarten mit Personen, Details und rätselhaften Ereignissen übrig haben, für die Sie keine Existenzberechtigung und keine logische Erklärung gefunden haben. Diese offenen Enden müssen Sie bei der Überarbeitung Ihres Romans ausmerzen, um Ihre Leser nicht zu verwirren.

Dafür ist es wichtig, dass Sie anfangs, wie von mir vorgeschlagen, auf die Rückseite jeder Karte notiert haben, in welchem Kapitel bzw. welcher Szene Sie diese Details verwendet haben.

So können Sie diese bei der Überarbeitung Ihres Manuskripts mit minimalem Aufwand aufspüren und eliminieren, ohne dafür nochmal den kompletten Roman Seite für Seite durcharbeiten zu müssen.

Wenn Sie sich eher als „Pantser“ als als „Outliner“ betrachten, sollten Sie diese Technik einmal ausprobieren. Ich bin davon überzeugt, dass Sie mit dem Ergebnis äußerst zufrieden sein werden.


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Prologe und Epiloge – Vabanque-Spiel oder nützliches Werkzeug?

Ein sehr häufig diskutiertes Thema, wenn es um die Struktur von Romanen geht, ist der Einsatz von Prologen und Epilogen. Während manche Autoren sie gerne einsetzen, lehnen andere sie rundheraus ab.

Was sind also Prologe und Epiloge? Was unterscheidet sie von normalen Kapiteln und in welchen Fällen sollte man sie trotz der damit verbundenen Risiken einsetzen?

Das Wort Prolog kommt vom Griechischen pro-logos (Vorwort; pro = vor, logos = Wort) und ist die Einleitung oder Vorgeschichte); dementsprechend ist der Epilog das Nachwort.

Der Prolog ist abgesetzt vom eigentlichen Roman – daher auch die Bezeichnung als „Prolog“ und nicht als „Kapitel 1“. Diese Abgrenzung endet meist nicht mit der Überschrift. Meist ist der Prolog zeitlich und/oder räumlich von der eigentlichen Haupthandlung abgesetzt und wird häufig aus der Sicht von Charakteren geschildert, die in der eigentlichen Handlung zumindest in dieser Form nicht mehr vorkommen.

Der Prolog als Alternative zur Rückblende

Es müssen nicht völlig unbekannte Charaktere sein – manchmal handelt es sich beim Prolog auch um eine Episode aus der Vergangenheit des Protagonisten, die bis in seine Kindheit oder Jugend zurück gehen kann und damit einen ähnlichen Zweck wie eine Rückblende erfüllt.

Mir persönlich ist ein guter Prolog, der eine wichtige Episode aus der Vergangenheit des Helden erzählt, weitaus lieber als eine Rückblende, die einen genau dann mitten aus der spannenden Handlung reißt, wenn man dann eigentlich nur erfahren will, wie es jetzt weiter geht.

Der Prolog für einen spannenden Einstieg

Einer der häufigsten Gründe für den Einsatz eines Prologs ist, die Schwächen eines zu langsam ansteigenden Spannungsbogens auszugleichen. Der Prolog gibt dem Autor die Möglichkeit, den Roman direkt auf der ersten Seite spannend zu beginnen. Während bei der eigentlichen Handlung der Spannungsbogen oft relativ weit unten beginnt (Einführung des Helden in seiner alltäglichen Welt, bevor das Chaos über ihn herein bricht und seine Probleme beginnen), kann der Prolog dem Leser direkt zeigen, was er vom weiteren Verlauf des Romans erwarten darf.

Ein gerne herangezogenes Beispiel dafür ist der Beginn von „Die Herren von Winterfell“, dem ersten Band der Fantasy-Saga „Das Lied von Eis und Feuer“ von George R.R. Martin: Da der eigentliche Roman sich auf den ersten paar hundert Seiten eher gemächlich anlässt, nutzt George R.R. Martin den Prolog, um dem Leser zu zeigen, dass er im weiteren Verlauf der Saga durchaus eine Menge Magie und brachiale Action erwarten darf.

Der Prolog als Einstieg im Krimi und Thriller

Auch in Film und Fernsehen wird diese Variante gerne verwendet. Denken Sie nur an die Columbo-Krimis, die zuerst mit dem dramatischen Mord beginnen, bevor der liebenswert-schusselige Inspektor mit seinen eher gemächlichen Ermittlungen beginnt.

Häufig ist es gerade bei Krimis und Thrillern so, dass der Prolog ganz gezielt eingesetzt wird, um den Schurken in Aktion zu zeigen – z.B. bei jenem Mord, der dann später in der eigentlichen Romanhandlung aufgeklärt werden muss.

Oft wird hierbei eine andere Erzählperspektive als im Rest des Romans verwendet. Auch wenn die Haupthandlung primär aus der Perspektive des Protagonisten erzählt wird, schlüpft der Autor im Prolog nicht unbedingt in die Haut des Schurken. Stattdessen wird hier auf eine neutrale Perspektive zurückgegriffen, die lediglich die Ereignisse schildert, ohne in die Gedanken, Emotionen und Wahrnehmungen des Perspektivcharakters einzutauchen.

Dafür gibt es zwei Gründe. Zunächst mal bestünde ansonsten die Gefahr, dass der Leser bereits im Prolog zu viel über die Identität des Antagonisten und seine Motive erfährt – Dinge, die zunächst noch verborgen bleiben sollen und erst später vom Protagonisten aufgeklärt werden müssen. Der zweite Grund ist, dass der Leser gar nicht unbedingt in die Gedankenwelt des Schurken eintauchen soll. Gerade Psychopathen, Soziopathen und Monster wirken umso furchterregender, unheimlicher und unberechenbarer, je weniger man sich als Leser in ihre Gedanken einfühlen kann.

Halten Sie Ihre Versprechen!

Wichtig ist, dass der Roman die Versprechungen erfüllen muss, die der Prolog macht. Wenn Sie einen Roman mit einer rasanten Actionszene beginnen, um den Leser „an den Haken zu bekommen“, der Rest der Handlung sich aber zu einer beschaulichen Liebesgeschichte entwickelt, wird der Leser sich vera…, äh, veralbert vorkommen.

Spätestens nach einer legitimen „Aufwärmphase“ muss Ihre eigentliche Romanhandlung daher in den Schienen rollen, für die der Prolog bereits die Weichen gestellt hat.

Der Prolog als Basis für das überraschende Finale

Ein weiterer sinnvoller Einsatz für den Prolog ist, das Fundament für die große Überraschung im Finale zu legen. Wenn Ihr Protagonist am Ende genau im richtigen Moment eine Waffe findet, um den Schurken zur Strecke zu bringen, ist das der berüchtigte und zurecht geächtete „Deus ex machina“ – der „Gott aus der Maschine“.

Dieser Ausdruck stammt aus dem griechischen Theater, bei dem am Ende des Stücks, wenn bereits alles völlig hoffnungslos für den Protagonisten aussah, eine Gottheit von oben herab schwebte und für göttliche Gerechtigkeit sorgte. Da der Schauspieler, der diese Gottheit verkörperte, an mechanischen Seilzügen herabgelassen wurde, bezeichnete man diese Technik als den „Gott aus der Maschine“.

Auch heute noch wird dieser Begriff verwendet, um Enden von Romanen oder Filmen zu bezeichnen, bei denen dem Autor nichts Besseres eingefallen ist, als den Zufall oder bisher völlig unbekannte Charaktere zur Auflösung des Konflikts ins Spiel zu bringen. Im klassischen Western waren das immer die Filme, bei denen in der aussichtslosesten Situation plötzlich die Kavallierie auftauchte, um die bedrängten Helden vor der Übermacht der Indianer zu retten.

Wenn Ihr Held also am Ende des Romans besagte Waffe finden soll, kann der Prolog schildern, wie die Waffe dorthin gekommen ist. Wenn Sie es geschickt genug anstellen, wird der Leser bis zum Finale die Ereignisse des Prologs fast vergessen haben – doch wenn Ihr Held die Waffe dann findet, wird er sich sagen: „Natürlich! Ich hätte es wissen müssen!“

Ein gutes Beispiel für diese Art des gezielten Einsatzes von Prologen sind die Dirk-Pitt-Romane von Clive Cussler: Hier werden im Prolog oft weit zurückliegende historische Ereignisse geschildert, die jedoch spätestens bis zum großen Finale gekonnt mit der Haupthandlung verknüpft werden. Der Sinn und die wahre Bedeutung des Prologs erschließen sich dem Leser erst kurz vor dem Ende des Romans – doch wer die Bücher von Clive Cussler kennt, ahnt natürlich schon beim Prolog, worauf es hinaus laufen könnte.

Damit haben wir auch schon einen weiteren wichtigen Faktor eines guten Prologs: er muss nicht nur zur Haupthandlung des Romans passen, sondern untrennbar dazu gehören – auch wenn der Leser die Art dieser Verbindung erst später verstehen kann.

Ein Beispiel: Der Prolog eines Science-Fiction-Thrillers schildert, wie gefährliche Aliens, die später innerhalb der Haupthandlung die größte Bedrohung darstellen werden, ein Raumschiff überfallen, dass daraufhin über einem unbewohnten Planeten abstürzt. Ein solcher Prolog ist natürlich gut geeignet, um die Aliens direkt zu Beginn einzuführen, obwohl sie in der eigentlichen Haupthandlung erst wesentlich später zum ersten Mal auftauchen würden. Wirklich gekonnt und überzeugend wirkt der Prolog allerdings erst, wenn der Protagonist des Romans in einer späteren Szene auf das abgestürzte Wrack aus dem Prolog stößt und sich jetzt erst herausstellt, wie wichtig dieses Schiffswrack (oder etwas, was sich darauf befindet) für die eigentliche Handlung ist.

Zwei Fliegen mit einer Klappe…

Ein gutes Beispiel dafür, wie man beide Varianten unter einen Hut bringt, sind die Prologe der neueren Bond-Filme. Während es bei den älteren Filmen noch so war, dass der Prolog den Helden  mitten im actionlastigen Abschluss seiner letzten Mission zeigt, bevor es dann im Hauptteil mit seiner neuen Mission los geht, wurde in den neueren Filmen die Handlung des Prologs gezielt mit der Handlung des neuen Falls vernetzt.

Risiken des Prologs

Ganz abgesehen davon, dass der Roman wie bereits erwähnt die Versprechen erfüllen muss, die der Prolog dem Leser gemacht hat, gibt es noch zwei weitere Gründe, die gegen den Einsatz eines Prologs sprechen.

Zunächst mal gibt es viele Leser, die keine Prologe mögen und diese am liebsten überblättern. Wenn sie den Prolog überblättern können, ohne dadurch die Handlung (und speziell das Finale) nicht mehr zu verstehen, ist der Prolog überflüssig wie ein Kropf und sollte ohnehin entfallen. Und wenn der Leser die Handlung nicht versteht, weil er den Prolog überblättert hat, waren Sie zwar im Nachhinein mit Ihrem Prolog im Recht – den Leser haben Sie aber trotzdem verloren.

Das zweite Argument gegen Prologe ist, dass man nach Möglichkeit den Protagonisten des Romans bereits in der ersten Szene einführen soll. Der Leser sollte wissen, wer die Hauptfigur ist, mit der er mitfiebern und der er die Daumen drücken soll. Ein Prolog, der mit einer Nebenfigur beginnt (die vielleicht am Ende des Prologs auch noch auf dramatische Weise ums Leben kommt), weckt auf den ersten Seiten beim Leser falsche Erwartungen und zerstört so die mühsam aufgebaute Bindung des Lesers wieder.

Sie sollten sich daher sehr genau überlegen, ob Ihr Roman wirklich einen Prolog benötigt.

Der Epilog

Genau wie der Prolog die Vorgeschichte eines Romans darstellt, ist der Epilog die Nachgeschichte – sozusagen der Ausklang.

Ein häufiges Argument gegen die Verwendung eines Epilogs ist, dass der Autor doch bitteschön die Handlungsstränge spätestens im letzten Kapitel auflösen soll – und nicht erst in einem nachgeschalteten Epilog.

Doch für den Epilog gibt es ähnliche Argumente wie für den Prolog. Auch er ist oft zeitlich von der eigentlichen Romanhandlung abgesetzt und spielt mehrere Monate oder gar Jahre nach der eigentlichen Handlung.

Häufig ist es so, dass es in einem Roman bestimmte Handlungsstränge gibt, die sich innerhalb der Haupthandlung nicht zu einem echten Abschluss bringen lassen, ohne dass es nach einem aufgesetzten, unechten Zuckerguss-Hollywood-Ende wirkt: Die Versöhnung zwischen lange verfeindeten Menschen oder Gruppierungen braucht in der Realität ebenso viel Zeit, wie Ihr Held braucht, um von seinen im finalen Kampf gegen den Schurken davongetragenen nahezu tödlichen Verwundungen wieder zu genesen.

Der Epilog spult also ein paar Wochen oder Monate vor und schildert, was seit den Ereignissen des letzten Kapitels aus den Hauptcharakteren geworden ist – meist nicht in Form einer summarischen Zusammenfassung wie im Abspann eines Hollywood-Films, sondern als separate Szene, die ebenso wie die Haupthandlung aus der Perspektive des Protagonisten geschildert wird.

Das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist das Ende des letzten Bandes der Harry-Potter-Reihe, in dem der Leser erfährt, was in den Jahren nach der Vernichtung Voldemorts aus Harry, Ron, Hermine und Ginny geworden ist.

Mein Lieblings-Epilog stammt allerdings aus dem brillanten Thriller „Der Schacht“ von Joseph Garber. Das ganze Buch ist genial konstruiert und mörderisch spannend geschrieben – doch der Epilog kehrt das melancholische Ende des letzten Kapitels ins Gegenteil um und lässt den Leser mit einen breiten, zufriedenen Grinsen zurück.

Auch hier baut die überraschende Offenbarung des Epilogs auf Fakten auf, die Garber mehrfach sehr dezent im Verlauf der Handlung eingestreut hat, deren wahre Bedeutung und Tragweite der Leser aber erst jetzt verstehen kann und die das Ende absolut logisch erscheinen lassen. Mission erfolgreich.

Eine weitere beliebte Variante des Epilogs ist, den vermeintlichen Abschluss, der im großen Finale erreicht wurde, zu relativieren oder komplett in Frage zu stellen, indem man im Epilog ein offenes Ende nachschießt. Ein beliebtes Beispiel sind die Monstereier, die man in der letzten Szene (oder oft auch erst nach dem Abspann) zahlreicher B-Movies von Godzilla über Critters bis hin zum Monster-Alligator findet – frei nach dem Motto: Fortsetzung folgt!

Das funktioniert natürlich in leicht abgewandelter Form auch als Epilog für einen Thriller: Man sieht in der Kneipe einen unbekannten Mann, der einen Drink bestellt. Als der Nebenmann am Tresen den Mann nach der Uhrzeit fragt und dieser den Ärmel seines Mantels zurückstreift, wird die Hand des Mannes mit einer charakteristischen Narbe und einem Siegelring beschrieben. Der Leser weiß sofort, dass es sich um den bereits totgeglaubten Oberschurken handelt, der aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz überlebt hat und höchstwahrscheinlich in einer Fortsetzung zurückkehren wird.

Risiken des Epilogs

Die wichtigste Frage bei einem Epilog ist natürlich (ebenso wie bei einem Prolog), ob Sie einen brauchen. Wenn Sie alle offenen Fragen im letzten Kapitel zu einem befriedigenden Abschluss bringen und somit auf einen Epilog verzichten können, sollten Sie das tun.

Denken Sie daran: Genau wie man im wahren Leben nur eine Chance hat, einen ersten Eindruck zu hinterlassen, ist die letzte Szene Ihres Romans das, was dem Leser in Erinnerung bleibt. Wenn Sie im Restaurant nach einem hervorragenden Essen vom Kellner noch einen ganz und gar widerlichen Likör zum Abschluss serviert bekommen, kann Ihnen das den ganzen guten Nachgeschmack des Essens verderben – ebenso wie man oft Bücher liest, die einem bis kurz vor Schluss sehr gut gefallen, dann aber durch ein schwaches Ende verdorben werden.

Betrachten Sie das Ende Ihres Romans wie den großen Paukenschlag, der die Symphonie beendet und noch lange im Ohr des Zuhörers nachhallt. Es ist Ihre Entscheidung als Autor, ob Sie diesen Paukenschlag im letzten Kapitel unterbringen oder in einem Epilog.


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Wie viele Handlungsstränge sollte Ihr Roman haben?

Eine der häufigsten Fragen, die sich Romanutoren bei der Planung eines Romans stellen, ist die, wie viele Handlungsstränge sie für ihren Roman einplanen sollten. Natürlich ist eine komplexe, vielschichtige Handlung immer gut und oft sorgen erst die Nebenhandlungen eines Romans für das nötige „Volumen“ – aber wann ist der Punkt erreicht, an dem es einfach „zu viel des Guten“ ist und an dem jede zusätzliche Nebenhandlung nur noch die eigentliche Haupt-Handlung des Romans verwässert?

Diese Frage ist komplexer, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Zunächst einmal geht die Frage nach der „richtigen“ Anzahl unterschiedlicher Handlungssträngen oft Hand in Hand mit der Frage, wie viele Perspektiv-Charaktere man in einem Roman haben sollte.

Und mal ganz provokativ gefragt: Wozu überhaupt mehrere Handlungsstränge und mehrere Perspektiv-Charaktere? Hat man nicht meist einen einzelnen Protagonisten, dessen Geschichte man in diesem Roman erzählen will?

Bei aus der „Ich-Perspektive“ erzählten Romanen ist das tatsächlich der Fall. Wer seine Geschichten aus der Ich-Perspektive schreibt, hat relativ wenig Möglichkeiten, einzelne Szenen aus der Perspektive einer anderen Person zu schildern.

Das hat oft gravierende Nachteile. So kann der Ich-Erzähler nur von Ereignissen berichten, bei denen er – bzw. der Protagonist, aus dessen Perspektive er die Geschehnisse schildert – selbst anwesend war.

Der deutsche Romanautor Thomas Thiemeyer („Medusa“, „Reptilia“) verwendet einen geschickten Kunstgriff, um dieses Handicap zu umgehen: In seinen Romanen schildert er alle Ereignisse, bei denen sein Protagonist selbst anwesend ist, aus der Ich-Perspektive, während alle anderen Handlungsstränge in der dritten Person aus wechselnden Perspektiven erzählt werden. Natürlich wechselt Thiemeyer in seinen Romanen nicht willkürlich zwischen beiden Erzählperspektiven, sondern nutzt Szenen- oder Kapitelübergänge für einen reibungslosen Wechsel.

Was die Anzahl der unterschiedlichen Perspektivcharaktere angeht, gilt die Faustformel: „Je länger ein Roman ist, desto mehr unterschiedlicher Perspektivcharaktere kann er vertragen.“

Gut, ich gebe zu: Diese Aussage ist fast so wenig greifbar wie die Prophezeiung eines Orakels, aber eine exakte Formel wird es niemals geben. Dass es so schwierig ist, die Frage exakt zu beantworten, liegt auch daran, dass Perspektivcharakter nicht unbedingt gleich Perspektivcharakter ist.

Ich weiß, dass das unlogisch klingt – daher ein Beispiel: Viele Autoren (gerade im Horror- und Thriller-Genre) verwenden gerne den Kniff des „Wegwerf-Perspektivcharakters“. Dabei führen sie in einer Szene eine neue Figur ein und sorgen dadurch, dass sie dem Leser von den Problemen, Gedanken, Zielen und Träumen dieser Person berichten, dafür, dass der Leser sich für diese Figur interessiert und Sympathie für sie empfindet.

Sobald der Autor das erreicht hat, wird die Figur von einem Monster, Serienkiller oder einem sonstigen üblen Ereignis grausam dahin gerafft – daher auch die Bezeichnung „Wegwerf-Perspektivcharakter“.

Dabei handelt es sich um einen erzähltechnischen Trick, um den Leser emotional tiefer in die Handlung zu ziehen. Es ist wie bei den Nachrichten: Wenn wir hören, dass es in Asien bei einer Überschwemmung mehrere hundert Tote gibt, berührt uns das oft weniger, als wenn die Reporter detailliert über ein tragisches Einzelschicksal berichten. Der vorübergehende Wechsel in die Perspektive des Opfers macht das Opfer zu einem solchen tragischen Einzelschicksal, nicht nur zu einem anonymen Statisten.

„Wegwerf-Perspektivcharaktere“ sollten Sie daher, wenn Sie solche in Ihrem Roman einsetzen wollen, nicht mitzählen. „Echte“ Perspektivcharaktere sind länger mit von der Partie, nicht nur in einer einzelnen Szene. Natürlich können auch sie im Verlauf der Handlung sterben, aber sie sind nicht nur als „Kanonenfutter“ in die Handlung geschrieben worden.

Aus diesem Grund haben „echte“ Perspektivcharaktere auch eigene, von der Haupthandlung unabhängige Handlungsstränge – womit wir wieder bei der anfänglichen Problematik wären.

Unterschiedliche Handlungsstränge in einem Roman haben mehrere Vorteile:

  1. Sie können an besonders spannenden Stellen zu einem anderen Handlungsstrang wechseln, um den Leser auf die Folter zu spannen und so die Spannung zu erhöhen. Selbst wenn der Handlungsstrang, zu dem Sie gerade wechseln, den Leser anfangs weniger interessiert als der, bei dem Sie ihn mit einem dramatischen Cliffhanger zurückgelassen haben, wird er dennoch weiter lesen, um möglichst bald zu erfahren, wie es bei „seinem“ Handlungsstrang weiter geht. Und bis es so weit ist, haben Sie ihn bereits so tief in den anderen Handlungsstrang hineingezogen, dass er sich von diesem gar nicht mehr losreißen kann.
    George R. R. Martin setzt diese Technik perfekt bei seinen Romanen ein. Jedesmal, wenn er auf einen anderen Perspektivcharakter wechselt, ist man zunächst enttäuscht, kann sich aber schon nach wenigen Seiten kaum noch von der neuen Handlung lösen.
  2. Mit unterschiedlichen Handlungssträngen können Sie das Tempo Ihres Romans regulieren und nebenbei Ihren Helden vor völlig unterschiedliche Probleme stellen: Nachdem Ihr Held sich gerade noch eine Schießerei mit feindlichen Agenten geliefert hat und nur um Haaresbreite aus dem hinter ihm explodierenden Gebäude fliehen konnte (haarsträubende Übertreibungen sind natürlich wie immer beabsichtigt ;-)), bekommt er in der nächsten Szene vielleicht einen Anruf von seiner ehemaligen Freundin, die er unbedingt für sich zurückgewinnen will. In diesem Handlungsstrang geht es nicht um Explosionen und wilde Gefechte, sondern darum, dass Ihr Held der einzigen Frau, die er jemals geliebt hat, beweisen will, dass er sich seit damals geändert hat.

Perspektivcharaktere und Handlungsstränge hängen dabei eng miteinander zusammen: Da Ihr Roman einen „Haupt-Handlungsstrang“ hat, in dem sich alles um den zentralen Konflikt Ihres Romans dreht, werden die meisten Perspektivcharaktere Ihres Romans eine ganze Reihe von Szenen haben, in denen es um den Haupt-Handlungsstrang des Romans geht.

Allerdings werden gerade die wichtigen Perspektivcharaktere wie der Sidekick/Vertraute Ihres Protagonisten oder seine Liebesbeziehung auch jeder einen davon unabhängigen, eigenen Handlungsstrang haben, der bestenfalls lose mit der Haupthandlung verknüpft ist.

Natürlich sollten auch diese Nebenhandlungen spannend sein, aber egal wie gut sie Ihnen persönlich gefallen, dürfen sie doch niemals Ihrer Haupthandlung den zentralen Platz innerhalb Ihres Romans streitig machen.

Achten Sie daher sehr genau darauf, wieviele Szenen Ihre einzelnen Perspektivcharaktere bekommen – und wieviel Szenen Sie den einzelnen Handlungsträngen zuteilen.

Dabei gilt ein ehernes Gesetz: Der Protagonist des Romans (also die Hauptfigur) bekommt mehr Szenen als jede andere Figur. Wenn Sie neben Ihrem Protagonisten nur noch einen anderen Perspektivcharakter haben, würde ich ein klares Verhältnis von 2/3 zu 1/3 empfehlen – wenn nicht gar 3/4 zu 1/4.

Je mehr Perspektivcharaktere Sie in Ihrem Roman haben, desto mehr verlagert sich dieses Verhältnis. Bei zwei oder mehr zusätzlichen Charakteren würde ich 50% der Szenen dem Protagonisten geben und die anderen 50% zu ungefähr gleichen Teilen zwischen den anderen Charakteren aufteilen.

Dasselbe gilt für die Handlungsstränge. Mindestens 50% der Szenen (besser 60-70%) Ihres Romans sollten zum Haupt-Handlungsstrang gehören – den Rest können Sie zwischen den diversen Nebenhandlungen aufteilen.

Dabei muss natürlich immer noch genug Platz bleiben, um jede dieser Nebenhandlungen sauber abschließen zu können. Je mehr Nebenhandlungen Sie also anzetteln, desto länger muss auch Ihr Roman werden – und desto komplexer muss auch die Haupt-Handlung Ihres Romans werden, damit das prozentuale Mengenverhältnis gewahrt bleibt.

Für einen „normalen“ Roman von ca. 90.000 Wörtern würde ich daher nicht mehr als maximal vier Perspektiv-Charaktere empfehlen. Meist handelt es sich dabei um den Protagonisten/Helden, den Antagonisten/Schurken, den Sidekick/Vertrauten und ggf. (je nach Handlung) die Liebesbeziehung des Protagonisten.

Daraus ergeben sich bereits bis zu fünf Handlungsstränge: Neben dem Haupt-Handlungsstrang (also dem zentralen Konflikt) braucht jeder wichtige Perspektivcharakter (höchstens mit Ausnahme des Antagonisten) eine eigene Nebenhandlung, die dazu dient, diesen Charakter noch von einer anderen Seite zu beleuchten und ihm so mehr Tiefe zu geben.

Die Nebenhandlung des Protagonisten dreht sich oft um die Schwäche, die er überwinden muss, um den zentralen Konflikt des Romans für sich entscheiden zu können. Das kann der alkoholkranke Sheriff im Western sein, der weiß, dass er trocken werden muss, um schließlich dem skrupellosen Revolverhelden im großen Showdown gegenübertreten zu können.

Diese Nebenhandlung verleiht der Figur des Protagonisten mehr Tiefe, ebenso wie die Nebenhandlungen der anderen Perspektiv-Charaktere diese als abgerundete Figuren erscheinen lassen.

Ein Handlungsstrang oder ein Konflikt ist wie eine Kerze. Auch eine Kerze wirft ihr Licht nur von einer bestimmten Seite auf die Figur, während sie die anderen Seiten im Dunkeln lässt. Um sie von anderen Seiten zu beleuchten und sie so wirklich als abgerundeten Charakter erkennen zu können, brauchen wir die Nebenhandlungen.

Um die richtige Anzahl der Perspektivcharaktere und Handlungsstränge für Ihren Roman zu ermitteln, müssen Sie diesen daher zumindest im Groben planen: Rechnen Sie aus, wie lang bei Ihnen eine durchschnittliche Szene ausfällt. Mit 1.000 bis 1.250 Wörtern (also 4-5 Seiten) liegen Sie meistens ganz gut im Rennen.

Nun rechnen Sie aus, wie lang Ihr Roman werden soll – also z.B. 400 Seiten. Multipliziert mit 250 Wörtern pro Seite gäbe das ca. 100.000 Wörter, was bei 1.000-1.250 Wörtern pro Szene ca. 80-100 Szenen ergäbe.

Mindestens die Hälfte davon sollte auf die Haupthandlung entfallen – also ca. 50 Szenen. Wenn Sie davon ausgehen, dass Sie für eine durchschnittliche Nebenhandlung zehn Szenen brauchen, um diese vollständig zu erzählen und zu einem für den Leser befriedigenden Abschluss zu bringen, können Sie neben Ihrer Haupthandlung noch 4-5 Nebenhandlungen unterbringen.

Das ganze ist natürlich keine exakte Wissenschaft, sondern lediglich eine nützliche Faustformel. Aber wenn Sie bei der Planung Ihres Fantasy-Romans merken, dass Sie bereits ein knappes Dutzend Perspektiv-Charaktere und mehr als doppelt so viele Handlungsstränge haben, sollten Sie sich darüber im Klaren sein, dass Sie im Begriff sind, ein Mammutwerk wie das in über 20 Jahren bereits auf über 6.000 Seiten angewachsene und noch immer nicht abgeschlossene „Lied von Eis und Feuer“ von George R. R. Martin in Angriff zu nehmen.

Falls Sie Ihr Romanprojekt einerseits irgendwann erfolgreich abschließen wollen und andererseits irgendwann auch nochmal etwas anderes schreiben wollen, sollten Sie in einem solchen Fall vielleicht doch lieber einige Charaktere und Handlungsstränge streichen und Ihr Romanprojekt auf ein realistisch machbares Maß zurückstutzen…


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