Tell, don’t show: Warum Sie klassische Schreibregeln beim Schreiben Ihrer Rohfassung ignorieren sollten

Wenn es eine Schreibregel gibt, die wohl so ziemlich jeder Schriftsteller kennt oder zumindest schon mal gehört hat, ist es „Show, don’t tell!“ – also: „Zeige, statt zu erzählen!“.

Im Prinzip ist diese Regel gut und richtig – schließlich sollte man als Autor den Leser tief in die Handlung hineinziehen, indem man ihn sie mit allen Sinnen miterleben lässt. Doch wie bei fast allen Regeln gibt es auch hier nicht nur die sprichwörtlichen Ausnahmen, die die Regel bestätigen, sondern auch richtige und falsche Situationen, um sie anzuwenden.

Denn bei falscher Anwendung kann auch die Show-don’t-tell-Regel (genau wie jede andere Verallgemeinerung) mehr kaputt machen, als sie nützt. Der richtige Zeitpunkt für „Show, don’t tell“ ist die Revision bzw. das Schreiben der zweiten Fassung – nicht jedoch das Schreiben der Rohfassung!

Falls Ihnen beim Schreiben der Rohfassung detaillierte Beschreibungen mit allen Sinnen bereits locker von der Hand gehen, ohne dass Sie auch nur einen weiteren Gedanken daran verschwenden müssen – nur zu! Doch in der Praxis kenne ich eher den Fall, dass das krampfhafte Festkammern an der als ehernes Gesetz empfundenen Regel „Show, don’t tell“ viele Autoren bis fast zum völligen Stillstand ausbremst und ihnen regelrecht den Spaß am Schreiben austreibt.

Sollten also auch Sie merken, dass „Show, don’t tell!“ Sie beim Schreiben ausbremst wie ein zentnerschwerer Mühlstein, den Sie an einem Strick hinter sich her schleppen müssen, sollten Sie für das Schreiben Ihrer Rohfassung einen anderen Ansatz ausprobieren: Tell, don’t show!

Meist kommt man mit dem Schreiben der Rohfassung wesentlich besser voran, wenn man sich zunächst einmal ausschließlich auf die eigentliche Handlung beschränkt und das lästige „Show, don’t tell!“ völlig ignoriert.

Die meisten Formulierungen bekommt man bei der Rohfassung (egal, wieviel Mühe man sich gibt) ohnehin nicht so gut hin, dass man sie bei der Revision später unverändert übernehmen könnte. Überarbeiten und umschreiben muss man sie ohnehin noch. Also warum sollte man dann mehr Mühe als unbedingt nötig in die Rohfassung stecken?

Schreiben Sie lieber nur die eigentlichen Geschehnisse auf und notieren Sie auf einem separaten Blatt alle Details, die Sie bei der späteren Überarbeitung noch einfließen lassen könnten, um die Szene im Sinne von „Show, don’t tell!“ mit allen Sinnen vor dem geistigen Auge des Lesers zum Leben zu erwecken.

Zu diesem Zweck können Sie mein Wahrnehmungs-Arbeitsblatt verwenden, das Sie unter http://ezine.writersworkshop.de/2015-02/files/Wahrnehmung.pdf herunterladen können. Drucken Sie sich für jede Szene ein Exemplar des Arbeitsblatts aus und notieren Sie darauf alle Details, die Ihr Perspektivcharakter in dieser Szene sieht, hört, riecht, fühlt oder schmeckt. Der untere Bereich „Sonstiges“ ist für all jene Dinge gedacht, die nicht wirklich in eine der anderen Kategorien passen – wie der berühmte „sechste Sinn“ sowie Emotionen und Gefühle.

Die eigentliche Szene können Sie dann schnell und flüssig herunterschreiben. Alle Details, die Sie bei der Überarbeitung noch in die Rohfassung einarbeiten wollen, landen als Stichworte auf dem Wahrnehmungs-Blatt, während sich der geschriebene Text auf die tatsächlichen Ereignisse beschränkt, die Sie als Autor sozusagen vor Ihrem geistigen Auge sehen.

Viele Schriftsteller finden es in dieser Phase praktisch, die Rohfassung im Präsens zu schreiben, um ein noch „direkteres“ Gefühl für die Handlung zu bekommen. Sie beschreiben quasi live die Ereignisse der Szene, während sie geschehen.

Eine solche Rohfassung könnte sich dann so lesen: „Markus nestelt mit dem Dietrich am Schloss herum, bis es klickt. Er schaut sich im Flur um. Niemand hat ihn gesehen. Er öffnet die Tür einen Spalt weit, schiebt sich mit dem Rücken voran ins Zimmer und schließt die Tür leise hinter sich. Erst dann sieht er sich um. Auf dem Bett liegt eine Leiche. Erst jetzt sieht er die Spuren eines Kampfes: umgeworfene Möbel, die Scherben einer zerbrochenen Lampe und ein blutiges Küchenmesser.“

Es ist klar, dass bei einer solchen Rohfassung die Revision sehr aufwändig ist, doch dafür kann man diese Rohfassung fast so schnell zu Papier (bzw. in den Computer) bringen, wie man die Finger über die Tasten fliegen lassen kann. In der Summe ist man mit dieser Technik interessanterweise immer noch deutlich schneller, als wenn man zu viel Zeit in eine zumindest passable Rohfassung steckt.

Denken Sie immer daran: Die Rohfassung muss nur so lesbar und zusammenhängend sein, dass sie als Grundlage für die Revision dienen kann. Wie heißt es so schön: Man kann keine leere Seite korrigieren. Und mit dieser Technik füllen sich die Seiten der Rohfassung erfrischend schnell.

Auch den ersten Revisionsdurchlauf nach dem magischen Wörtchen ENDE unter der Rohfassung machen Sie noch auf Basis dieser ultimativen Rohfassung: Die Prüfung auf eine konsistente, schlüssige Handlung.

Ein großer Vorteil ist nämlich, dass man auch nachträglich noch größere Änderungen an Szenen oder Handlungssträngen vornehmen kann, ohne dabei bereits mühsam ausformulierte Prosa verwerfen zu müssen. Wenn Sie die Rohfassung einer Szene in gerade mal 15 Minuten nach dem Motto „Tell, don’t Show“ skizziert haben, wird es Ihnen keine schlaflosen Nächte bereiten, die Szene durch eine genauso schnell heruntergeschriebene, besser in die Handlung passende neue Szene zu ersetzen.

Erst wenn Sie mit Ihrer Handlung (also dem reinen „Tell“-Anteil) wirklich zufrieden sind, beginnen Sie mit damit, die zweite Fassung Ihrer Handlung zu schreiben. Diesmal können Sie langsam und bedächtig vorgehen und aus der rudimentären Rohfassung und Ihren Notizen zu allen Sinneswahrnehmungen eine von Grund auf neu geschriebene,  hochwertige „Version 2“ machen.

Probieren Sie es doch bei Ihrem nächsten Manuskript (oder auch nur bei einer einzelnen Szene) einfach selbst einmal aus. Vergleichen Sie die Ergebnisse und stoppen Sie die Zeit, die Sie insgesamt benötigen. Ich würde vermuten, dass Sie mit diesem Ansatz nicht nur schneller und wesentlich stressfreier vorankommen, sondern dass auch das fertige Resultat (also die „Version 2“) sich sogar noch besser und flüssiger liest, als wenn Sie versucht hätten, gleich alles in einen Durchgang zu packen.

PS: Da man bei der Revision ohnehin alles noch einmal umschreiben muss, kann man die Rohfassung theoretisch auch direkt mit Stift und Papier schreiben, was einen beim Schreiben völlig unabhängig vom PC, Strom oder der Akkuladung des Laptops macht – eine Mappe mit leeren Blättern und einen Stift kann man überall hin mitnehmen.

Wer diese Variante bevorzugt, kann sich mein Schreibblatt unter http://ezine.writersworkshop.de/2015-02/files/Schreibblatt.pdf herunterladen: Die linke Spalte ist dabei für die eigentliche Szene, die rechte für die Notizen zu allen sechs Sinnen.


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Wie lange sollten Sie mit der Überarbeitung Ihres Manuskripts warten?

Jeder Autor kennt diese Situation. Irgendwann ist es endlich so weit und man schreibt das magische Wörtchen „ENDE“ unter seine Geschichte. Oder einen anderen, adäquaten Schlußsatz, wenn man keinen Roman, sondern ein Sachbuch o.ä. geschrieben hat.

Und natürlich ist einem klar, dass damit zwar der Schlußstrich unter das eigentliche Manuskript gezogen wurde – aber fertig ist es damit noch lange nicht. Denn schließlich kommt ja noch die Revision bzw. Überarbeitung – und die kann von Aufwand und Umfang her das reine Schreiben der Rohfassung bei weitem in den Schatten stellen.

Doch wann sollte man mit der Überarbeitung seines Manuskripts beginnen? Direkt nach der Fertigstellung? Oder doch lieber erst ein wenig warten? Und wenn ja: wie lange?

Wie meistens im Leben gibt es auch hier keine allgemeingültige Antwort, die in jedem Fall passt. Aber es gibt ein paar Dinge, die man bei seiner Entscheidung beachten sollte.

Zunächst mal sollte man meiner Erfahrung nach niemals direkt nach dem Schreiben mit der Überarbeitung beginnen. Nicht einmal bei einer so einfachen Sache wie einem simplen Blogpost. Bevor man mit der Überarbeitung beginnt, sollte man zunächst ein wenig Abstand zum eigenen Text gewinnen. Und je umfangreicher und komplexer der Text ist und je mehr Zeit man bereits damit verbracht hat, desto größer sollte auch der zeitliche Abstand ausfallen.

Das absolute Minimum für einen kurzen Text wie einen einfachen Blogpost sind ein paar Stunden. So einen Text kann man beispielsweise morgens schreiben, abends überarbeiten und dann zur automatischen Veröffentlichung am nächsten Morgen einstellen. Besser ist jedoch selbst hier, zumindest eine Nacht darüber zu schlafen und den Text erst am nächsten Tag noch einmal mit frischem Kopf durchzulesen und zu überarbeiten.

Das ist auch der Grund, warum ich beim Bloggen (zumindest für „nebenberufliche“ Blogger) nicht mehr als einen Blogpost alle drei Tage empfehlen würde. Am ersten Tag den Blogpost planen, am zweiten schreiben, am dritten überarbeiten und veröffentlichen bzw. für einen späteren Termin vorplanen.

Bei Kurzgeschichten würde ich eher ein paar Wochen Distanz empfehlen, bei Romanen bis zu einem Vierteljahr. Jedenfalls, wenn es keinen dringenden Abgabetermin gibt, der eingehalten werden muss. Wenn natürlich der Einsendeschluss für eine bestimmte Anthologie schon Ende nächster Woche ist oder der Verlag das überarbeitete Manuskript Ihres Romans bis spätestens Ende nächsten Monats erwartet, bleibt selbstverständlich nicht viel Zeit, das Manuskript erst einmal ruhen zu lassen und etwas Abstand zu gewinnen.

Warum Abstand zum eigenen Werk so wichtig ist

Abstand zum eigenen Werk ist wichtig, um dieses zumindest halbwegs objektiv beurteilen zu können. Bei der Revision gilt die alte Regel „Kill your darlings“. Man muss also den inneren Lektor, den man während der Rohfassungs-Phase aufgrund seiner wenig hilfreichen, kritischen Kommentare in eine abgeschiedene Kellergruft verbannt hatte, wieder von der Leine lassen. Und um ihn erbarmungslos den Rotstift ansetzen zu lassen, müssen wir versuchen, unser eigenes Manuskript mit den neutralen, unvoreingenommenen Augen eines Dritten zu sehen – des späteren Lesers.

Natürlich ist uns das in der Praxis niemals hundertprozentig möglich. Wir können nicht ganz aus unserer Haut, aber ein Abstand von ein paar Wochen bis ein paar Monaten ist doch äußerst hilfreich, wenn es darum geht, das eigene Manuskript objektiv zu betrachen.

Objektiv heißt in diesem Fall „so, wie es ist“. Nicht besser, aber auch nicht schlechter.

Wenn man einen Text oder eine bestimmte Passage gerade erst geschrieben hat, tendiert man (je nach Schriftsteller und persönlicher Tagesform) oft zu einem der beiden Extreme: Entweder glaubt man, dass einem der Text ganz hervorragend gelungen ist und eigentlich kaum noch überarbeitet werden muss – oder man flucht innerlich zähneknirschend über diesen hölzern klingenden, miserablen, holprigen Stuss, den man sich da mal wieder aus den Fingern gequetscht hat.

In der Praxis stimmt meist weder das eine noch das andere Extrem. Üblicherweise ist unsere Rohfassung nicht so gut, wie wir im ersten Überschwang gedacht hatten – aber glücklicherweise auch nicht so schlecht, wie wir an anderen Tagen glauben. Die Wahrheit liegt meist irgendwo dazwischen.

Wenn wir später mit einem gewissen emotionalen Abstand an die Revision gehen, stellen wir fest, dass noch jede Menge Handlungsbedarf besteht – aber immer wieder bleiben wir auch an einzelnen Formulierungen oder ganzen Passagen hängen, bei denen wir uns mit einem zufriedenen Lächeln fragen: „Das habe wirklich ich geschrieben? Liest sich klasse!“

Mit zu wenig zeitlichem Abstand besteht die Gefahr, dass man noch zu genau das Idealbild des Romans oder der Geschichte vor seinem geistigen Auge hat. Dieses Idealbild müssen wir aus zwei Gründen während unserer Auszeit zwischen dem Beenden der Rohfassung und dem Beginn der Revision so gründlich wie möglich verdrängen:

Zunächst einmal können wir diesen Idealzustand auf dem Papier niemals erreichen. Unsere Worte und Formulierungen werden nie ausreichen, um das, was wir uns vor unserem geistigen Auge in allen prächtigen Details ausgemalt haben, genau so zu Papier zu bringen. Es ist so, wie die Schriftstellerin Iris Murdoch sagte: „Jedes Buch ist das Wrack einer perfekten Idee.“

Das macht in der Praxis jedoch nichts, denn unsere späteren Leser kennen das idealisierte Bild nicht, das wir beim Schreiben vor unserem geistigen Auge hatten. Sie kennen nur das, was auf dem Papier steht – und wenn ihnen das gefällt, hat der Autor gewonnen. Egal, wie groß die Diskrepanz zwischen dem ursprünglichen Traum und seiner papiergewordenen Gestalt sein mag.

Und damit sind wir auch schon beim zweiten Grund, warum wir Abstand zum eigenen Werk und die Perspektive eines unvoreingenommenen Lesers brauchen. Jeder Schriftsteller sollte sich während der Revision seiner Geschichten diesen Satz in großen, fetten Lettern über seinen Bildschirm kleben: „Es ist in deinem Kopf, aber ist es auch auf dem Papier?“

Sie wissen genau, wie die Charaktere Ihrer Geschichte aussehen. Aber reichen die Details auf den Seiten Ihres Romans auch aus, damit sich Ihre Leser ein zutreffendes Bild von ihnen machen können? Oder ziehen Sie mitten im Buch, wenn der Leser bereits eine ganz bestimmte Vorstellung vom Aussehen der Charaktere hat, nochmal neue Details aus dem Ärmel, die mit Pech überhaupt nicht zur bisherigen Vorstellung des Lesers passten?

Dasselbe gilt für Hintergrundinformationen, Vorgeschichte und Hinweise, die zur Auflösung rätselhafter Ereignisse benötigt werden. Haben alle benötigten Informationen wirklich den Weg aufs Papier gefunden oder müssen Sie hier noch nacharbeiten?

Ach ja: Die Zeit, während derer Sie Ihren Roman oder Ihre Kurzgeschichte in der realen oder virtuellen Schublade liegen lassen, um den notwendigen Abstand für die Überarbeitung zu gewinnen, ist natürlich keine verlorene Zeite. Nutzen Sie diese Auszeit, um währenddessen etwas komplett anderes zu schreiben oder ein ganz anderes, neues Projekt zu beginnen. Je weniger Gemeinsamkeiten es zwischen Ihrem gerade abgeschlossenen Manuskript und Ihrem neuen Projekt gibt, desto schneller, leichter und gründlicher werden Sie sich auch gedanklich von Ihrem alten Manuskript lösen.

Harte Fälle und misslungene Laborexperimente

Manchmal gibt es natürlich auch Manuskripte, bei denen man froh ist, sie endlich fertig zu haben und die man am liebsten nie mehr anfassen würde. Das sind die verkorksten, verkrüppelten Bücher oder Geschichten, die wir nur aus Stolz und Hartnäckigkeit überhaupt zu Ende geschrieben haben – und, um daraus zu lernen.

Auch solche Manuskripte sollte man aufheben, auch wenn man momentan keinerlei Motivation hat, daran weiter zu arbeiten, oder es sich nicht zutraut, diesen strukturlosen Handlungsklumpen nachträglich noch in eine ansprechende Form zu meißeln. Analysieren Sie diese Manuskripte so, wie ein Wissenschaftler seine misslungenen Laborexperimente analysiert. Warum hat diese Handlung nicht funktioniert? Warum hassten Sie am Schluss Ihren eigenen Protagonisten so sehr, dass Sie insgeheim eher seinem Gegenspieler die Daumen gedrückt hatten? Jeder solche Fehler, den wir klar erkennen können und den wir bis zum Punkt seiner Entstehung zurückverfolgen können, ist eine Lektion – ein Fehler, der uns beim nächsten Mal bestimmt nicht nochmal passieren wird.

Legen Sie solche Manuskripte ruhig länger zur Seite. Tragen Sie sich einen Termin für in einem halben Jahr oder in einem Jahr in Ihren Kalender ein (oder nutzen Sie FutureMe, um eine Erinnerungsmail an Ihr zukünftiges Ich zu schicken), sich das Manuskript noch einmal vorzunehmen.

Manchmal hat man bis dahin eine gute Idee, wie man das Manuskript mit viel Arbeit doch noch retten könnte – schließlich arbeitet unser kreatives Unterbewusstsein rund um die Uhr. Und wenn nicht, schicken Sie es nochmal für ein weiteres halbes Jahr in den Winterschlaf.

Betrachten Sie auch diese Manuskripte nicht als endgültig aufgegeben, sondern ähnlich wie jene todkranken Menschen, die sich einfrieren lassen, da ihnen mit dem heutigen Stand der medizinischen Technik noch nicht geholfen werden kann. Genau wie sie darauf hoffen, dass sie irgendwann in der Zukunft jemand auftauen wird, wenn es eine Möglichkeit gibt, ihre heute noch als tödlich geltende Krankheit zu heilen, dürfen auch Ihre Manuskripte darauf hoffen, irgendwann reanimiert zu werden, wenn Sie die Fähigkeiten oder Ideen dazu haben, alle strukturellen und konzeptionellen Fehler von damals gerade zu biegen.

Vielleicht wird dieser Tag niemals kommen – aber man sollte die Hoffnung niemals zu früh aufgeben.


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„Enjoy the ride“ oder: Der Weg ist das Ziel

Es ist eine verbreitete Unsitte, sich in Gedanken mehr mit der Zukunft als mit der Gegenwart zu beschäftigen. Während wir unser aktuelles Buch schreiben, beschäftigen wir uns in Gedanken schon mit dem nächsten Projekt – oder zumindest mit dem Coverdesign, dem Videotrailer oder dem Marketing-Plan für das Buch, das wir gerade schreiben. Nichts gegen eine solide Vorplanung – aber man sollte, wie die alte Redensart so schön sagt, das Fell des Bären erst dann verkaufen, wenn man ihn bereits erlegt hat.

Wenn man sich gedanklich bereits zu sehr mit den nächsten Schritten oder gar dem nächsten Projekt beschäftigt, steigert das unsere Ungeduld. Es führt dazu, dass wir nicht mehr schreiben wollen, sondern lieber bereits geschrieben haben wollen.

Beim Schreiben eines Buchs gilt ebenso wie bei allen anderen zeitaufwändigen und langfristigen Projekten: Der Weg ist das Ziel. Wer nicht in der Lage ist, den Weg (also das Hier und Jetzt) zu genießen, sondern stets ein Auge in der Zukunft hat und daher ständig enttäuscht ist, dass das Ziel noch nicht erreicht (bzw. noch nicht einmal in greifbarer Nähe) ist, hat auf lange Sicht erheblich schlechtere Chancen, bis zum erfolgreichen Abschluss des Projekts durchzuhalten, als jemand, der seine Arbeit genießen und als Selbstzweck empfinden kann.

Wer immer nur auf das Ziel starrt, kann den Weg dorthin nicht genießen, sondern empfindet ihn eher als ein lästiges Hindernis auf dem Weg zum ersehnten Ziel. Natürlich ist ein gelegentlicher Blick in Richtung Ziel wichtig, um sicher zu stellen, dass wir uns noch auf dem richtigen Kurs befinden. Aber schneller kommt man dadurch auch nicht an – genauso wenig, wie die Familie auf dem Weg in den Urlaub schneller ankommt, wenn die Kinder nur oft genug quengeln „Sind wir gleich da?“

Es ist wie mit der Geschichte aus dem alten Griechenland, in der ein Wanderer einen Philosophen fragte: „Wie komme ich am schnellsten zum Olymp?“ Der Philosoph lächelte und antwortete: „Indem du sicher stellst, dass jeder deiner Schritte dich in die richtige Richtung führt.“

Genauso ist es mit dem Schreiben. Auch hier gibt es keine Abkürzung zum Ziel, die uns wie ein Wurmloch im Weltraum ohne Zeitverlust direkt ans Ziel führt. Wir können lediglich zusehen, dass wir auf dem Weg zum Ziel – also zum fertigen Buch – keine unnötigen Umwege machen.

Die einzelnen Phasen, von der soliden Planung und Recherche über das Schreiben der Rohfassung bis hin zu den einzelnen Revisions-Durchgängen, können wir nicht abkürzen – jedenfalls nicht, ohne die Qualität des fertigen Buchs dadurch zu gefährden.

Da wir diesen Weg also ohnehin zurücklegen müssen, tun wir gut daran, ihn zumindest zu genießen – und zwar jede der unterschiedlichen Etappen. Natürlich hat jeder Autor seine persönlichen Vorlieben, welche Phasen eines Projekts er am liebsten mag und welche er am liebsten überspringen oder von jemand anders erledigen lassen würde.

Manche Autoren lieben die Planung und das Worldbuilding und können sich geradezu in den Tiefen ihrer virtuellen Romanwelten verlieren, bevor sie auch nur die erste Seite ihres eigentlichen Manuskripts geschrieben haben, während andere diesen Gedanken eher schaurig finden und sich viel lieber Hals über Kopf ins Schreiben einer neuen Idee stürzen möchten, um sich gemeinsam mit ihrem Protagonisten überraschen zu lassen, in welche Richtung sich die Handlung wohl entwickelt. Manche Autoren lieben es, Geschichten zu schreiben und dabei ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen – aber die eher strukturierte, logische Überarbeitung ist ihnen ein Graus. Andere sind froh, wenn sie endlich die lästige Rohfassung fertig geschrieben haben und sich endlich daran machen können, diese wie ein Diamantenschleifer zu bearbeiten und sie nach und nach auf Hochglanz zu polieren.

Am besten ist immer derjenige Autor dran, der jeder Phase der Entstehung seines Romans etwas Positives abgewinnen und diese aufrichtig genießen kann. Wenn einem die Arbeit Spaß macht, fühlt sie sich nicht mehr wie Arbeit an – und als positive Nebenwirkung wird zugleich auch die Qualität der Ergebnisse besser, als wenn man sie als lästige Pflicht betrachtet, die man so schnell wie möglich „abhaken“ möchte.

Beschränken Sie daher Ihren „Blick in die Zukunft“ auf einen gelegentlichen Kursabgleich und heben Sie sich später kommende Arbeitsschritte oder gar völlig neue Projekte für später auf – später, wenn Sie Ihr laufendes Projekt erfolgreich abgeschlossen haben.


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Warum Wordcount nicht alles ist

Wenn es um das Setzen von Zielen und das Messen ihrer persönlichen Produktivität geht, ist es in den letzten Jahren unter Schriftstellern mehr und mehr in Mode zu kommen, alles am Wordcount zu messen – also an der Anzahl der (neuen) Wörter, die man in einem bestimmten Zeitraum geschrieben hat. Die Messgröße „Wordcount“ hat es sogar geschafft, als Anglizismus in unseren alltäglichen Wortschatz einzuziehen, da es hier ebenso wie z.B. für das „Meeting“ im Deutschen kein einzelnes, ebenso prägnantes und allgemeingültig verwendbares Wort gibt.

Dazu haben natürlich auch die Aussagen diverser hauptberuflicher Schriftsteller über ihre persönliche Arbeitsweise beigetragen. Wenn z.B. Stephen King in seinem Buch „Das Leben und das Schreiben“ sagt, dass er jeden Tag 2.000 Wörter schreibt, betrachten viele nebenberufliche oder hobbymäßige Schriftsteller eine solche Aussage wie die Offenbarung eines Propheten. Schließlich funktioniert das bei Stephen King doch blendend und ermöglicht es ihm, routiniert und zuverlässig ein Buch nach dem anderen zu schreiben.

Und auch wenn sie sich aufgrund ihrer knappen Zeit (zu Recht!) nicht zutrauen, Stephen Kings straffe Vorgabe 1:1 zu übernehmen, setzen sie sich dennoch eine herunterskalierte Form von Kings persönlicher Messlatte als Ziel – zum Beispiel 1.000 Wörter pro Tag. Aber ist das wirklich der richtige Weg?

Fakt ist, dass die meisten Schriftsteller ein solches Ziel nicht allzu lange durchhalten. Vielleicht ein paar Wochen, maximal ein paar Monate – dann geht ihnen (Gewohnheit hin oder her) die Puste aus und der eigentlich gut gemeinte Vorsatz geht denselben Weg wie der, sich gesünder zu ernähren oder mehr Sport zu treiben. Jedenfalls bei denen, die neben dem Schreiben auch noch einen Vollzeit-Job, einen Haushalt, eine Familie, Freunde etc. haben.

Natürlich gehört der Wordcount zu den wenigen klar messbaren Größen unter Schriftstellern, Journalisten und Bloggern.

Man kann ohne viel Aufwand ermitteln, wie viele Wörter man z.B. innerhalb der letzten Stunde geschrieben hat. Schließlich hat so ziemlich jedes Textverarbeitungsprogramm eine Funktion wie „Wörter zählen“ oder „Textstatistiken“, die einem auf Knopfdruck die aktuelle Länge des eigenen Manuskripts ausspuckt. Und seit Word 2007 haben auch die Microsoft-Schreibprogramme (ebenso wie Zenware-Schreibprogramme wie WriteMonkey, FocusWriter oder Q10) einen „Live-Wordcount“, der sich automatisch aktualisiert und stets am unteren Bildschirmrand die aktuelle Länge des Manuskripts zeigt, ohne dass man ihn jedes Mal manuell aktualisieren müsste.

Journalisten und Autoren von Fachartikeln werden oft nach Wörtern bezahlt und für die meisten Publikationen von der Kurzgeschichte für eine Anthologie bis hin zum Roman gibt es längenmäßige Vorgaben. Insofern macht es natürlich durchaus Sinn, beim Schreiben den Wordcount des eigenen Manuskripts im Auge zu behalten.

Doch abgesehen davon, dass immer mal etwas dazuwischen kommen kann, das unseren geplanten Schreib-Zeitplan durcheinander würfelt, ist das Problem zu hoher, womöglich täglicher Wordcount-Ziele, dass das „Schreiben“ von Büchern, Kurzgeschichten, Artikeln oder Blogposts nun mal nicht dasselbe ist wie die rein mechanische Tätigkeit des „Schreibens“ am PC oder von Hand.

Das „Schreiben“ im Gegensatz zum „Tippen“ besteht aus kreativen Ideen, Recherche, Planung und Struktur, dem Schreiben der Rohfassung, der inhaltlichen, strukturellen und stilistischen Überarbeitung, der Veröffentlichung und schließlich auch der Vermarktung der eigenen Texte. Ganz zu schweigen von dem administrativen Drumherum.

Das reine Schreiben, das wir anhand unseres Wordcounts messen können, ist also nur ein Puzzlesteinchen im großen Gesamtbild. Zwar ein wichtiges Steinchen, denn ohne zu schreiben können wir niemals unsere Ideen in greifbare Form bringen, und ohne zu schreiben haben wir auch nichts, was wir überarbeiten und letztendlich veröffentlichen können – aber dennoch ist es lediglich ein Teil des Ganzen.

Wer also ausschließlich auf den Wordcount schielt und den größten Teil seiner knappen Schreibzeit dafür verplant, möglichst viele Wörter zu schreiben, ist mit Vollgas auf dem Holzweg in Richtung einer Sackgasse ohne Wendemöglichkeit unterwegs.

Egal, wie viele gute Ideen Sie noch in der Schublade liegen haben und wie gut Sie Ihr aktuelles Buchprojekt vorgeplant haben – früher oder später geht Ihnen der Stoff aus und Sie geraten in den Nebel mangelhafter Planung.

Das Tückische an diesem Nebel ist, dass dieser sich so langsam um Sie zusammen zieht, dass Sie es anfangs kaum merken. Sie sind halt nicht mehr ganz so gut wie sonst vorbereitet und müssen ein bisschen mehr als sonst improvisieren. Aber das ist ja nicht schlimm, denn auch so bekommen Sie immer noch Ihren angepeilten täglichen Wordcount zu Papier. Vielleicht nicht mehr ganz so mühelos wie am Anfang, aber immerhin.

Und während Sie von Tag zu Tag fast unmerklich tiefer in jene Grauzone vordringen, in der die Improvisation einen immer größeren Anteil einnimmt, lässt die Qualität Ihres Outputs langsam nach. Wenn Sie Sachbücher, Artikel oder Blogposts schreiben, sind diese nicht mehr so gut durchdacht, strukturiert und recherchiert wie früher, sondern werden allgemeiner, schwammiger und weniger originell. Romanautoren werden von strategischen Plottern und Outlinern mehr und mehr zu „Pantsern“, die sich ohne Vorplanung durch ihre Romanhandlung tasten, stets in der Hoffnung, irgendwann an einem sinnvollen Ende anzukommen.

Diese Improvisation rächt sich spätestens dann, wenn Sie die Rohfassung Ihres Manuskripts fertig geschrieben haben. Denn als Faustformel können Sie davon ausgehen, dass jede bei der Planung fehlende/eingekürzte Stunde in 2-3 Stunden zusätzlichem Zeitaufwand für die Überarbeitung resultiert. Ohne solide Planung müssen Sie sich bei der Revision nicht mehr nur um Ihren Schreibstil und einzelne Formulierungen kümmern, sondern ganz oben bei Struktur und Inhalt ansetzen. Das kann wiederum dazu führen, dass Sie umfangreiche Passagen Ihres Manuskripts rauswerfen und ersetzen oder zumindest so gründlich überarbeiten müssen, dass dabei kaum ein Stein auf dem anderen bleibt.

Sobald es an die Revision geht, sind Sie mit der Wordcount-Rechnung ohnehin am Ende. Denn gerade bei längeren Texten wie Kurzgeschichten oder ganzen Büchern müssen Sie für die Revision mindestens ebensoviel Zeit wie für das Schreiben der Rohfassung einplanen – eher sogar noch deutlich mehr. Jedenfalls, wenn Sie Wert darauf legen, am Ende ein fertig überarbeitetes Manuskript zu haben, das auch professionellen Ansprüchen gerecht wird. Oder wie Schreibpapst Sol Stein es formuliert hat: „Schreiben ist Umschreiben!“

Wer nun „nebenher“ weiter versucht, seine selbst gesetzte tägliche oder wöchentliche Wordcount-Messlatte einzuhalten, vernachlässigt fast automatisch die Überarbeitung des letzten, bereits fertig geschriebenen Manuskripts. Entweder bekommt man dieses also erst sehr viel später (oder nie) auf einen veröffentlichungsreifen Stand – oder man begnügt sich mit einem zu niedrigen Level und veröffentlicht letztendlich ein kaum oder zumindest unzureichend überarbeitetes Manuskript.

Wenn ich mir manche selbstverlegten Bücher anschaue, habe ich den Eindruck, dass diese „Augen zu und raus damit“-Mentalität gar nicht so selten ist. In der Praxis ist das natürlich der schnellste Weg, nicht nur das eigene Buch, sondern auch den eigenen guten Ruf als Autor gründlich zu verbrennen. Denn wenn erst einmal die ersten 1- oder 2-Sterne-Rezensionen eintrudeln, die nicht durch eine vielfache Übermacht begeisterter 4- oder 5-Sterne-Rezensionen ausgeglichen werden können, wird kaum noch jemand so risikofreudig sein, das Buch trotz der schlechten Bewertungen zu kaufen. Selbst eine später nachgeschobene, gründlich überarbeitete und lektorierte Fassung kann die schlechten Bewertungen nicht mehr ungeschehen machen. Denn kaum einer der verärgerten Leser wird sich das Buch in der überarbeiteten Fassung neu herunterladen, nochmals lesen und dann seine damalige Kritik wohlwollend abändern.

Aber, werden jetzt manche fragen, wenn Wordcount-Ziele tatsächlich fast von vorneherein zum Scheitern verurteilt sind, warum funktionieren sie dann für Autoren wie Stephen King? Die Antwort ist einfach. Vollzeit-Autoren wie Stephen King haben theoretisch fast den ganzen Tag Zeit zum Schreiben. Wenn jemand wie King sich vornimmt, jeden Tag 2.000 Wörter zu schreiben, macht das für ihn (abhängig von seiner Schreibgeschwindigkeit) irgendwas zwischen zwei und vier Stunden am Tag aus. Während das für die meisten nebenberuflichen Schriftsteller schon fast die gesamte Zeit ist, die sie fürs Schreiben freischaufeln können, hat der Vollzeit-Autor anschließend immer noch locker das Doppelte dieser Zeit zur Verfügung, um für die nächsten Tage vorzuplanen oder bereits geschriebene Texte zu überarbeiten.

Der nebenberufliche oder hobbymäßige Autor, der nach einer kurzen Pi-mal-Daumen-Schätzung zu dem Schluss kommt, dass auch er 1.000 oder gar 2.000 Wörter pro Tag schreiben kann, vernachlässigt bei seiner Kalkulation das ganze Drumherum: Für einen Vollzeit-Autor beschreibt die Aussage „2.000 Wörter am Tag“ nicht seinen Arbeitstag, sondern einen kleinen Ausschnitt daraus. Solange wir also nicht auch den ganzen Tag zu unserer freien Disposition haben, brauchen wir gar nicht darüber nachzudenken, es ihnen gleich zu tun. Das ist wie der zum Scheitern verurteilte Versuch, eine ganze Flasche Bier in ein Schnapsglas zu füllen – ohne zwischendurch abzutrinken.

Der Weg zu einem realistischen Wordcount-Ziel

Wenn Sie sich trotz meiner oben geäußerten Bedenken dennoch ein Wordcount-Ziel als Maßstab für Ihre persönliche Schreib-Produktivität setzen wollen, sollten Sie zumindest die folgenden Tipps beherzigen:

  1. Setzen Sie sich kein tägliches, sondern lediglich ein wöchentliches Ziel. Also nicht „täglich 500 Wörter“, sondern lieber „jede Woche 3.500 Wörter“. Es kann immer etwas dazwischen kommen, was Sie einen Tag am Schreiben hindert – aber mit einem Wochenziel haben Sie zumindest noch die Chance, eventuelle Rückstände am Wochenende aufzuholen.
  2. Setzen Sie Ihr Wordcount-Ziel so niedrig an, dass Sie es in maximal 20% der Zeit bewältigen können, die Sie insgesamt zum Schreiben zur Verfügung haben. Halten Sie Ihre Schätzung lieber realistisch niedrig als zu optimistisch hoch. Wenn Sie also je nach Tagesform in einer Stunde zwischen 500 und 1000 Wörtern schreiben können, sollten Sie nur mit 500 Wörtern kalkulieren. Wenn Sie mehr schaffen, umso besser. Falls nicht, haben Sie sich das Hemd aber auch nicht zu eng gemacht. Maximal sollten Sie mit dem Durchschnittswert (also 750 Wörter als Mittelwert) kalkulieren.

Wenn Sie in der Woche 20 Stunden Zeit zum Schreiben haben (z.B. werktags jeden Morgen zwei Stunden und an Wochenendtagen jeweils fünf Stunden), sollten Sie nur 20% davon, also vier Stunden, mit Ihrer stündlichen Quote multiplizieren. Bei 750 Wörtern wären das 3.000 Wörter pro Woche.

Ein solcher Wert erscheint Ihnen vermutlich geradezu lächerlich gering. Nur 3.000 Wörter pro Woche, obwohl Sie 20 Stunden pro Woche Zeit für Ihre Schreibprojekte haben? Das wären ja gerade mal 150 Wörter pro Stunde. Stimmt – aber so sollten Sie nicht rechnen.

Zunächst einmal sind 3.000 Wörter pro Woche alles andere als wenig. Das entspricht ungefähr 10-12 Taschenbuchseiten, was aufs Jahr gerechnet 500-600 Buchseiten ausmacht. Das wäre entweder ein richtig dicker Wälzer oder zwei etwas schlankere Taschenbücher mit 250-300 Seiten – z.B. für Krimis ein guter Umfang.

Außerdem lässt Ihnen dieser Plan genug Luft zum Atmen – bzw. für die anderen Phasen des Schreibens. Wenn Sie wöchentlich vier Stunden fürs reine Schreiben einplanen, bleiben Ihnen bis zu 16 Stunden, um beispielsweise parallel bereits Ihr nächstes Buch zu planen, Ihr zuletzt fertig geschriebenes Manuskript gründlich zu überarbeiten und sich um die Veröffentlichung und Vermarktung Ihrer bereits fertig überarbeiteten Bücher zu kümmern.

Dazu noch ein letzter Tipp: Teilen Sie Ihre Zeiten so auf, dass Sie rechtzeitig mit der Planung Ihres nächsten Buchs fertig sind, bevor Sie mit Ihrem aktuellen Buch beim magischen Wörtchen „ENDE“ ankommen. So können Sie nach der Fertigstellung Ihres aktuellen Manuskripts nahtlos mit dem Schreiben weiter machen und so auch weiterhin Ihr wöchentliches Wordcount-Ziel einhalten.


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Kreatives Schreiben mit Stift und Papier statt am Computer?

Ich habe kürzlich den Bericht einer amerikanischen Schriftstellerin gelesen, die ihrem Mac den Rücken gekehrt hat und fürs Schreiben wieder zu Papier und Stift zurückgekehrt ist.

Durch den Artikel bin ich auch noch einmal ins Grübeln gekommen, ob das Schreiben am PC wirklich immer das Optimum ist – aber nicht unbedingt aus denselben Gründen.

Die Störungen durch Mails kann man mit etwas Disziplin abstellen, indem man vor dem Schreiben sein Mailprogramm, seinen Browser und andere eventuell störende Programme kurzerhand schließt. Auch die Verlockung, mit Schriftarten und Formatierungen herumzuspielen, statt wirklich an seinem Manuskript weiter zu schreiben, lässt sich mit Zenware-Schreibprogrammen wie WriteMonkey oder FocusWriter bekämpfen.

Meine Argumente dafür, dass der Computer doch nicht das unschlagbare Schreibwerkzeug ist, kommen aus einer anderen Richtung.

Natürlich haben wir in den vergangenen Jahrzehnten die Vorteile des Computers kennen und schätzen gelernt:

  • Man kann (zumindest, wenn man das Zehnfingersystem beherrscht), am PC wesentlich schneller schreiben als von Hand.
  • Man kann das fertige Manuskript direkt am PC überarbeiten und korrigieren. Es ist also nicht mehr erforderlich, bei jeder Änderung die ganze Seite oder gar das ganze Kapitel nochmal von Hand abzutippen oder abzuschreiben.

Doch hat das Schreiben am PC wirklich nur Vorteile? Oder gibt es nicht auch Punkte, die dafür sprechen, doch wieder von Hand auf gutem, altmodischem Papier zu schreiben?

Zugegeben – die Frage klingt schon etwas seltsam, wenn sie von jemandem gestellt wird, der seit über einem Vierteljahrhundert tagtäglich mit Computern arbeitet und seinen Lebensunterhalt damit verdient. Doch es gibt tatsächlich Punkte, die einen zum Nachdenken bringen können:

Früher sind Schriftsteller auch ohne Computer ausgekommen – und viele von ihnen waren wesentlich produktiver als die meisten heutigen Schriftsteller. Man denke nur an den unglaublichen Output von Schriftstellern wie William Shakespeare oder Anthony Trollope.

Margaret Mitchell hat „Vom Winde verweht“ in linierte Schulhefte geschrieben und auch ich habe das Manuskript meines ersten Romans „Die Verschwörer von Styngard“ in den 90er Jahren noch in A5-Notizbüchern begonnen. Damals habe ich meist während meiner Mittagspause in der Firma daran weiter geschrieben, da wir dort damals noch keine Windows-PCs hatten, sondern lediglich AS400-Terminals (heutzutage steinzeitlich wirkende Trümmer mit monochromem Monitor, auf denen selbst keine Programme liefen, sondern die direkt am zentralen Hauptrechner hingen).

Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass es eine ganz besondere Verbindung zwischen Hirn und Hand gibt, wenn wir nicht am Computer tippen, sondern tatsächlich mit Stift und Papier schreiben. Das mag unter anderem auch daran liegen, dass man automatisch langsamer und mit mehr Bedacht schreibt.

Wenn man weiß, dass man nicht einfach die Delete-Taste drücken kann, um einen voreilig aufs Papier geworfenen Satz zurückzunehmen, legt man sich den Satz komplett im Kopf zurecht, bevor man den Stift auch nur ansetzt. Die Rohfassung eines so geschriebenen Textes hat daher meist schon eine bessere Qualität als eine, die am Computer entstanden ist.

Diese Endgültigkeit – was geschrieben ist, ist geschrieben und wird erst bei der Revision des fertigen Textes nochmal angepackt – ist wohl auch einer der Gründe, warum manche Schriftsteller auch heute noch eine altmodische Schreibmaschine ohne Korrekturband statt eines modernen Computers bevorzugen.

Natürlich sehen handschriftliche Texte nicht so schön und sauber aus wie solche, die man am Computer getippt hat – aber auch darin sehe ich eher einen Vor- als einen Nachteil. Am Computer getippte Texte sehen – besonders, wenn man sie schon gleich im endgültigen Buchlayout tippt – schon in der Rohfassung sehr professionell und „druckreif“ aus. Natürlich sind sie das in der Praxis nicht. Wie schon Ernest Hemingway so drastisch gesagt hat: „Die erste Fassung ist immer Mist.“

Einer handschriftlichen Rohfassung sieht man auf den ersten Blick an, dass sie nichts anderes als das ist: ein erster, roher Entwurf, der von einem fertigen Buch noch meilenweit entfernt ist. Auf diese Weise unterliegt man auch nicht der Selbsttäuschung, dass man diese Rohfassung mit ein paar kleineren, oberflächlichen Korrekturen schon als Buch veröffentlichen könnte.

Bei der Überarbeitung von Hand geschriebener Manuskripte hat man natürlich das Handicap, dass man diese bei der Übertragung in den Computer Wort für Wort abtippen muss, statt in dieser Phase einfach auf die bereits im Computer gespeicherte Rohfassung zurückgreifen zu können.

Doch auch das muss bei genauerer Betrachtung nicht unbedingt ein Nachteil sein. Es zwingt einen eher dazu, jeden einzelnen Satz bei der Überarbeitung noch einmal kritisch zu überdenken und zu überlegen, ob man ihn nicht doch anders und besser formulieren könnte. Abschreiben muss man ihn ja sowieso.

Hat man die Rohfassung hingegen bereits im Computer, fördert das die Bequemlichkeit, einen bestenfalls mittelmäßigen Satz dennoch als „gut genug“ ins endgültige Buch zu übernehmen, statt die einmalige Gelegenheit zu nutzen, ihn bei der Revision zu glätten und auf Hochglanz zu polieren.

So ist beispielsweise der Bestsellerautor Ken Follett („Die Säulen der Erde“) dafür bekannt, dass er bei der Revision seiner Bücher die Rohfassung Satz für Satz abschreibt und dabei ggf. überarbeitet. Geschadet hat es seinen Büchern und seinem Erfolg mit Sicherheit nicht. ;-)

Besonders nützlich ist das Schreiben von Hand meiner Meinung nach bei Romanen und Kurzgeschichten. Im Gegensatz zu Sachbüchern, Fachartikeln oder Blogposts, bei denen der Schwerpunkt auf der Vermittlung von Informationen, Ideen, Konzepten und Inhalten liegt, geht es bei Romanen oder Kurzgeschichten mehr darum, Stimmungen, Gefühle und Emotionen zu vermitteln – etwas, das einem beim Schreiben auf Papier meiner Meinung nach leichter und intuitiver „von der Hand geht“, als beim Schreiben am Computer.

Ich würde also nicht unbedingt empfehlen, Blogposts oder Sachbücher zukünftig von Hand zu schreiben – aber ich kann mir gut vorstellen, dass ich die Rohfassung meiner nächsten Kurzgeschichte zur Abwechslung mal wieder von Hand und nicht am Computer schreibe.

Das Schreiben mit Stift und Notizbuch hat auch noch einen weiteren Vorteil: Stift und Notizbuch brauchen im Gegensatz zu Laptop, Netbook oder Tablet-PC keinen Strom und müssen nie aufgeladen werden, sondern sind jederzeit einsatzbereit. Außerdem kann man auch im Sommer auf der Terrasse, im Freibad oder im Biergarten schreiben, wo man durch das helle Tageslicht auf einem Computermonitor kaum noch etwas erkennen könnte.

Natürlich ist das Schreiben auf Papier am Anfang eine ziemliche Umgewöhnung, wenn man zuvor Jahre lang gewöhnt war, längere Texte ausschließlich am Computer zu schreiben. Tintenflecken, Druckstellen an den Fingern und verkrampfte Handgelenke sind am Anfang ganz normal. Aber auch daran gewöhnt man sich recht schnell und schon nach kurzer Zeit ist man wieder so gut geübt wie früher in der Schule.

Lassen Sie es einfach mal auf einen Versuch ankommen: Schreiben Sie zwei Szenen – eine mit Papier und Block und eine wie gewohnt am PC. Tippen Sie anschließend die handschriftliche Rohfassung ab (ohne sie dabei zu überarbeiten), damit optisch kein Unterschied zu erkennen ist, und geben Sie beide Szenen einem neutralen Testleser zum Lesen. Fragen sie ihn, welche der Szenen ihm vom Schreibstil her besser gefällt – und warum. Die Ergebnisse könnten sehr aufschlussreich sein.