Ein Herz für Schurken: Warum Sie Ihrem Antagonisten ebenso viel Aufmerksamkeit wie Ihrem Helden schenken sollten

Finden Sie es auch so störend, wenn Sie beim Lesen eines Romans feststellen müssen, dass sich der Autor zwar große Mühe gegeben hat, einen vielschichtigen und interessanten Protagonisten aufs Papier zu zaubern, aber die Rolle des Gegenspielers lediglich mit einem zweidimensionalen Klischee-Schurken besetzt hat?

Schnurrbartzwirbelnde, megalomanische oder psychopathische Schurken, deren einziges Ziel es zu sein scheint, den Helden aufzuhalten – und nebenbei auch noch alles, was ihm lieb und teuer ist, zu vernichten. Fehlt nur noch das sardonische Oberschurken-Lachen und der obligatorische Showdown, in dem der Schurke dem Helden lang und breit seine finsteren Pläne offenbart – und ihm dadurch die Gelegenheit gibt, das Blatt in letzter Sekunde doch noch zu wenden.

Wenn man einen Roman schreibt, sollte man die Klischee-Schurken in der Mottenkiste lassen, in die sie auch gehören. Stattdessen sollte man mindestens genausoviel Arbeit in die Entwicklung eines glaubwürdigen Antagonisten wie in die des Protagonisten stecken. Denn was wäre ein packender Roman ohne einen beängstigend realistisch wirkenden, äußerst gerissenen und zu allem entschlossenen Gegenspieler?

Dabei ist es besonders wichtig, dass Ihr Antagonist glaubwürdig wirkt. Ihr Leser muss das Gefühl haben, dass es sich bei ihm um einen echten Menschen mit Zielen, Emotionen, Träumen und Ängsten handelt. Keinen Karnevals-Mafioso und keinen Geisterbahn-Dracula, sondern um einen echten Menschen, den der Leser bis zu einem bestimmten Punkt sogar verstehen kann.

Für die Handlung Ihres Romans ist Ihr Antagonist mindestens ebenso wichtig wie Ihr Held – denn schließlich wird die Handlung des Romans gerade in der ersten Hälfte in erster Linie mehr durch die Handlungen und Pläne Ihres Antagonisten als durch die des Helden bestimmt.

Schließlich ist es in den meisten Romanen so, dass der Protagonist die erste Hälfte des Romans vor allem damit zubringt, zu reagieren, sich über die Zusammenhänge klar zu werden und sich einen Plan zurecht zu legen, um die durch das „auslösende Ereignis“ zu Beginn der Handlung verursachten Komplikationen zu beheben. Erst in der zweiten Hälfte, nach dem dramatischen Mittelpunkt der Handlung, ergreift der Protagonist die Initiative, statt lediglich auf die Probleme und Bedrohungen zu reagieren, die ihn bis dahin auf Trab gehalten haben. Während in der ersten Hälfte das Spiel nach den Regeln des Antagonisten gespielt wurde, geht es nun anders herum: der Protagonist ändert die Regeln und bietet seinem Gegner Paroli.

Sie sollten daher sicherstellen, dass auch Ihr Antagonist eine vielschichtige und glaubwürdige Figur ist. Geben Sie ihm ein aus seiner Sicht „positives Ziel“, das er mit aller Entschlossenheit verfolgt. Positiv muss hierbei nicht „moralisch vertretbar“ sein, sondern bedeutet lediglich, dass er etwas erreichen und nicht nur etwas verhindern möchte.

Ihr Antagonist will den Helden töten oder die Welt vernichten? Warum? Was hätte er persönlich davon? Weltherrschaft, wenngleich nicht weniger klischeebeladen, ist da schon etwas anderes – ein „positives“ Ziel mit einem ganz konkreten Nutzen für Ihren Antagonisten.

Machen Sie sich auch Gedanken darüber, warum Ihr Antagonist genau dieses Ziel hat. Wie ist er so geworden? Welche Ereignisse und Erlebnisse in seiner Vergangenheit haben ihn zu dem gemacht, was er heute ist?

All das sind Dinge, die Sie stückchenweise und ganz dezent in Ihren Roman einfließen lassen können, um Ihren Antagonisten vor dem geistigen Auge Ihres Lesers zu einem echten und gerade dadurch umso beängstigerenden Menschen werden zu lassen – zu einer dramatischen statt einer melodramatischen Gestalt.

Das ist besonders wichtig bei jenen Szenen, die Sie aus der Perspektive Ihres Antagonisten schildern. Denken Sie immer daran: Fast jeder Schurke hält sich für den Helden seiner eigenen Geschichte. Sie glauben, im Recht zu sein oder dass der aus ihrer Sicht „gute Zweck“ jegliche Mittel heiligt.

Gerade wenn Sie Ihre Antagonisten nicht abgrundtief böse machen, sondern zu Menschen, die sich aus ursprünglich positiven oder gar edlen Motiven zu immer skrupelloseren und böseren Taten haben hinreißen lassen, verleihen Sie dem Konflikt zwischen Ihrem Helden und seinem Gegenspieler eine ganz neue Dimension.

Was wäre zum Beispiel, wenn Ihr Held eigentlich ähnliche Ziele und Ideale wie sein Gegenspieler vertritt – aber ihn dennoch bekämpfen muss, weil dieser durch die Wahl seiner Mittel zu einem noch größeren Übel als die ursprüngliche Bedrohung geworden ist?

Zu guter Letzt sollten Sie Ihren Antagonisten noch mit ein paar guten, sympathischen Eigenschaften abrunden: Machen Sie aus ihm einen Tierfreund, einen einfühlsamen Familienmenschen oder einen freigiebigen Unterstützer eines guten Zwecks. Wo Licht ist, ist auch Schatten – aber das gilt genauso auch umgekehrt. Niemand ist nur böse oder nur gut – erst durch Licht und Schatten sehen wir keine ebene Fläche, sondern das kantige, vielschichtige Profil eines echten Menschen.

Nehmen Sie sich daher die Zeit, zu überlegen, wie Sie Ihren Antagonisten Ihres aktuellen Romanprojekts noch glaubwürdiger und vielschichtiger gestalten können. Es ist eine Arbeit, die sich definitiv lohnt.

Denn wenn Sie genauer darüber nachdenken, fallen auch Ihnen bestimmt einige Romane ein, die Ihnen nicht wegen der strahlenden Helden, sondern wegen der glaubwürdigen Bösewichte so unauslöschlich in Erinnerung geblieben sind. Oder an wen denken Sie eher: John Silver oder Jim Hawkins? Kapitän Ahab oder Ismael? Hannibal Lecter oder Clarence Starling? ;-)


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Casting für Ihren Roman

Gute Geschichten – und ganz besonders Romane – leben von ihren Charakteren. Selbst die beste Handlung kann Leser nur selten fesseln, wenn die Charaktere nicht kompetent, motiviert und charismatisch sind.

Dennoch stoße ich beim Lesen von Romanen immer wieder auf Geschichten, bei denen ich mir sage: Da wäre doch mehr drin gewesen. Oft ist die dem Roman zugrunde liegende Idee erfrischend neu und interessant präsentiert – aber dann wird die Handlung leider durch schablonenartige Charaktere in die Grauzone des Mittelmaßes herunter gezogen.

Um das zu vermeiden, sollten Sie die Charaktere für Ihren nächsten Roman äußerst sorgfältig casten. Casten wie in den berüchtigten Casting-Shows, an denen man in den Privatsendern kaum noch vorbei zappen kann? Zumindest so ähnlich – allerdings nicht „Deutschland sucht den Superstar“, sondern eher „Mein Roman sucht den Superschurken“ ;-)

Die auslösende Idee für eine Romanhandlung kann ganz unterschiedlich sein. Manchmal ist es ein Bericht, den man irgendwo gelesen hat, eine Reportage im Fernsehen oder ein ungewöhnliches Erlebnis – und manchmal ist es auch eine Idee für eine ganz bestimmte Romanfigur, die einen einfach nicht mehr loslässt, bis sich vor unserem geistigen Auge nach und nach das Gerüst einer Romanhandlung um diese Figur herum aufbaut.

Manchmal haben Sie also bereits eine zentrale Figur – in den meisten Fällen den Protagonisten. Gerade wenn man Fortsetzungen zu bestehenden Romanen oder gar ganze Serien schreibt, kann man den Protagonisten als „gesetzt“ annehmen. Doch alle anderen wichtigen Rollen in Ihrem Roman sollten Sie mit einem zünftigen „Casting“ besetzen.

Dazu legen Sie zunächst einmal fest, welche „Rollen“ Sie noch zu besetzen haben. Protagonist und Antagonist (also „Held“ und „Schurke“), der Mentor, der Sidekick /  beste Freund des Helden und eventuell noch eine Liebesbeziehung.

Legen Sie nun für jede dieser Rollen ein „Anforderungsprofil“ fest, das die Idealbesetzung für diese Rolle erfüllen müsste – ähnlich wie bei einer Stellenbeschreibung.

Sagen wir, Sie wollen einen Agententhriller im Stil der James-Bond-Romane schreiben und suchen einen würdigen Gegenspieler für Ihren Top-Agenten. Welche Eigenschaften müsste ein solcher Superschurke mitbringen? Er sollte äußerst intelligent sein, dabei skrupellos, mit ausgeprägtem Machthunger und einem diabolischen Plan, den es zu vereiteln gilt. Und natürlich braucht er ein gutes, plausibles Motiv für diesen Plan – nicht nur das typisch melodramatische „die Weltherrschaft“ oder gar „die Welt vernichten“. Darüber hinaus braucht Ihr Schurke Macht, Geld, Einfluss und eine Organisation, um diesen Plan umzusetzen. Und vielleicht noch die Fähigkeiten, es im großen Finale sogar in einem direkten Showdown mit Ihrem Protagonisten aufnehmen zu können.

Stellen Sie zunächst eine Liste mit fünf bis zehn möglichst unterschiedlichen Kandidaten für diesen „Job“ auf. Wählen Sie dabei möglichst unterschiedliche Kandidaten. Wer sagt z.B., dass der Gegenspieler ein Mann sein muss? Wählen Sie Kandidaten mit unterschiedlicher Herkunft/Nationalität, unterschiedlichem sozialem und beruflichem Hintergrund. Ziehen Sie ebenso junge wie alte Kandidaten in die engere Wahl. Geben Sie ihnen ganz unterschiedliche Ziele und ebenso unterschiedliche Motive, warum sie dieses Ziel unbedingt erreichen wollen.

Dann loten Sie aus, wie weit diese die von Ihnen gesetzten Kriterien erfüllen. Sie können in dieser Phase durchaus noch nachbessern und überlegen, wie Sie die jeweilige Figur verändern/optimieren könnten, um sie zu einem besseren Kandidaten für die Rolle zu machen – aber genauso können Sie Ihre Handlungsidee anpassen, um einen besonders interessanten Kandidaten darin unterbringen zu können.

Wenn Sie sich am Ende nicht zwischen zwei oder drei Kandidaten entscheiden können, haben SIe mehrere Möglichkeiten:

1. Sie können Ihre zweite/dritte Wahl für eine Fortsetzung oder einen anderen Roman aufheben. Dafür hat man als Schriftsteller schließlich ein Ideenarchiv, in dem solche Figurenideen auf ihre große Stunde warten.

2. Sie können versuchen, die beiden Charaktere zu einem zu verschmelzen – also die Eigenschaften Ihres „B-Kandidaten“, die Sie besonders faszinieren, auf Ihren A-Kandidaten zu übertragen und so einen noch stärkeren, noch besser geeigneten „Top-Kandidaten“ zu kreieren.

…oder Sie bringen einfach beide Charaktere in die Handlung ein. Das funktioniert für Protagonisten wie für Antagonisten.

Das Prinzip mit den zwei Antagonisten kennt man aus vielen Filmen und Romanen. Sie können diese entweder unabhängig voneinander agieren lassen (z.B. in zwei getrennten Handlungssträngen) und so Ihren Protagonisten an zwei Fronten in Kämpfe verwickeln (eine ideale Quelle für das eine oder andere Dilemma…) oder Sie sorgen dafür, dass Ihre beiden Schurken sich in einer strategischen Allianz verbünden und Ihren Helden gemeinsam in die Zange nehmen. Wie heißt es so schön: Viel Feind, viel Ehr!

Zwei Protagonisten in einem Roman unterzubringen ist in der Umsetzung oft etwas schwieriger, da man meist dem Leser einen „echten“ Protagonisten als Identifikationsfigur zu geben, mit der er mitfiebert und mitleidet, statt seine Sympathie zwischen mehreren „gleichberechtigten“ Helden aufzuteilen.

Wenn man es dennoch versuchen möchte, ist eine gute Möglichkeit das aus dem Kino bekannte Prinzip des „Buddy-Movies“, bei dem sich zwei sehr gegensätzliche Charaktere erst zusammenraufen müssen, um schließlich gemeinsam dem übermächtig starken gemeinsamen Feind Paroli bieten zu können.

Falls Sie hingegen in Ihrem Roman keine zwei gleichstarken Protagonisten haben wollen, können Sie auch überlegen, Ihrer „zweiten Wahl“ eine andere Rolle zuzuteilen – z.B. die des Sidekicks/Helfers oder des Mentors.

Dabei können Sie auch Sidekick und Mentor zu einer einzigen Rolle verschmelzen und diese mit Ihrem zweitliebsten Kandidaten besetzen. Wenn Sie Ihren Krimi doch lieber aus der Perspektive des jungen, engagierten Polizisten als aus der des harten, erfahren und desillusionierten Kommissars schreiben wollen, gäbe dieser doch einen perfekten Mentor ab, der sogar aktiv eingreifen könnte, wenn es später hart auf hart kommt.

Sie können auch zu einem fiesen Trick greifen, der allerdings nicht unbedingt jedermanns Sache ist: Was wäre, wenn Ihre „zweite Wahl“ für die Rolle des Protagonisten in Wirklichkeit auf der anderen Seite stünde? Machen Sie aus ihm einen weiteren Gegenspieler für Ihren Protagonisten – ob offen oder verdeckt.

Offene Feindschaft zwischen zwei eigentlich „guten“ Charakteren kann durch Rivalität, Eifersucht, ungelöste frühere Konflikte oder auch durch tragische Missverständnisse entstehen. Solche offenen Konflikte können ihren eigenen Handlungsstrang bekommen, sind aber für den Leser nicht so überraschend wie eine heimliche, verborgene Feindschaft, die erst am Ende des Romans aufgedeckt wird.

Bei offenen Konflikten zwischen zwei „guten“ Charakteren wird der Leser meist davon ausgehen, dass diese bis zum Ende des Romans beigelegt werden und dass am Ende beide doch an einem Strang ziehen werden. Mit dieser Erwartungshaltung können Sie spielen und diese ganz gezielt zerstören, indem Sie Ihren „guten“ Gegenspieler durch seinen Hass im Laufe der Zeit immer unmoralischer und skrupelloser handeln lassen, bis dieser schließlich ebenso weit auf der „dunklen“ Seite wie der eigentliche Antagonist Ihres Romans steht und daher keine Chance mehr auf Verständnis und Vergebung hat.

Verdeckte Feindschaft hat weitaus größeres Potential. Was wäre, wenn der nur scheinbar „gute“ Zweitcharakter sich als Freund, Sidekick oder gar als wohlmeinender Mentor tarnt und in Wahrheit jede Gelegenheit nutzt, um die Pläne des Helden (in die dieser ihn vertrauensselig einweiht) zum Scheitern zu bringen?

Dabei bleibt es Ihnen überlassen, ob Sie den scheinbaren Freund zu einem Verbündeten Ihres Antagonisten machen oder ihm ein ganz eigenes Motiv mit einem völlig unterschiedlichen Handlungsstrang geben.

Auch für ein Bündnis mit dem „Bösen“ gibt es immer genug scheinbar gute Motive. Denken Sie nur an Charaktere wie Saruman aus „Der Herr der Ringe“, der sich mit Sauron verbündete, da er glaubte, dass das Gute Saurons mächtige Armeen niemals schlagen könne. Oder an Agentenfilme wie „Mission Impossible“ oder „Der Einsatz“, bei denen desillusionierte frühere Helden zu Antagonisten werden, weil sie sich von ihren Regierungen verraten und ausgenutzt fühlen.

Ein solcher Kniff hat das Zeug dazu, den Protagonisten z.B. im großen Finale gegen seinen früheren Lehrmeister antreten zu lassen, der mittlerweile auf der bösen Seite steht oder sich gar als der eigentliche Antagonist entpuppt.

Sie sehen, welche interessanten Möglichkeiten sich aus einer solchen „Casting-Aktion“ ergeben können. Lassen Sie es einfach mal auf einen Versuch ankommen und starten Sie Ihren nächsten Roman mit einem zünftigen Casting, um die perfekte Besetzung für die wichtigen Rollen in Ihrer Handlung zu finden.

Sie werden sehen, dass es nicht nur Spaß macht, sondern das Potential Ihrer Romanidee nochmal deutlich steigert.


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