Warum Improvisation beim Schreiben gute Planung erfordert

Immer wieder flammt zwischen Schriftstellern die ewige Diskussion auf, ob nun das Vorplanen oder das Drauflosschreiben der bessere Ansatz ist, um einen guten Roman zu produzieren. Während manche etablierten Bestsellerautoren wie Stephen King oder Lee Child darauf beharren, dass sie niemals einen ihrer Romane vorplanen, stehen auf der anderen Seite hunderte ebenfalls erfolgreicher Autoren, die niemals einen Roman ohne eine ausreichend detaillierte Vorplanung beginnen würden.

Gerade unerfahrenen Autoren erscheint dieser Disput ziemlich paradox: Zwei Gruppen, die auf scheinbar völlig gegensätzliche Ansätze schwören und dennoch beide mit ihren Methoden erfolgreich sind.

Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo in der Grauzone zwischen den Extremen. Das kann man besonders gut am Beispiel des Worldbuildings sehen.

Nehmen wir beispielsweise an, Sie wollen einen Fantasy-Roman schreiben. Reine Improvisation wird Sie hier nicht ans Ziel bringen. Wenn Sie Ihre Fantasy-Welt erst nach und nach während des Schreibens aufbauen, sind Inkonsistenzen und Widersprüche vorprogrammiert.

Dazu zählen beispielsweise Dinge, die Sie gegen Ende des Romans als neue Idee einbringen, die aber bei genauer Betrachtung bereits auf den Beginn der Handlung so großen Einfluss gehabt hätten, dass eigentlich die ganze Geschichte völlig anders hätte verlaufen müssen. So etwas bei der Überarbeitung des Romans im Nachhinein glattzuziehen ist eine wahre Sisyphusarbeit, die einem den Spaß am eigenen Roman gründlich austreiben kann.

Wenn Sie also beim Schreiben Ihres Romans improvisieren wollen und Ihre Charaktere die Handlung bestimmen lassen wollen, müssen Sie die Welt schon verdammt gut kennen, in der Sie Ihre Romanfiguren von der Leine lassen wollen. So steckte auch Tolkien zunächst einige Jahre in die Konstruktion der Welt von Mittelerde, bevor er den Hobbit und die Herr-der-Ringe-Trilogie schrieb.

Wenn Sie seit etlichen Jahren in Berlin leben und die Stadt wie Ihre Westentasche kennen, könnten Sie vermutlich einen Roman improvisieren, der in Berlin spielt. Sie wissen, wie Ihr Protagonist am besten vom Flughafen Berlin-Tegel in die Innenstadt kommt oder in welchem China-Restaurant er die geheimnisvolle Unbekannte vom Flughafen wieder treffen könnte.

In diesem Fall sind es Ihre Kenntnisse über den Handlungsort, die Ihnen neue Ideen für die Handlung eingeben. Für einen Roman, der in Ihrer langjährigen Heimat spielt, ist das schön und gut. Aber wenn Ihr Roman in einer fiktiven, fremdartigen Welt spielt, die gerade erst in Ihrem Kopf zu entstehen beginnt, tasten Sie sich hier halbblind durch dichten Nebel – und da gibt es mehr Fallgruben und Stolpersteine, als gut für Sie und Ihren Roman ist.

Sie können also erst einmal ein paar Wochen oder Monate investieren, um eine komplexe, realistisch anmutende Fantasy-Welt mit unterschiedlichen Rassen, Religionen, Sprachen et cetera zu erschaffen. Erst dann, wenn Sie selbst Ihre fiktionale Welt so gut kennen wie Ihre Westentasche, können Sie damit beginnen, in dieser Welt improvisierte und trotzdem schlüssige Romane zu schreiben.

Dieser Ansatz ist gut, wenn Sie vorhaben, in Ihrer fiktiven Welt mehrere Romane oder gar eine ganze Serie anzusiedeln. Doch wenn Sie nur einen einzelnen Roman in dieser Welt schreiben wollen, werden Sie einen großen Teil der Welt, die Sie über Wochen und Monate mühevoll konstruiert haben, niemals verwenden können.

Wenn Sie umgekehrt die Handlung Ihres Romans zuerst planen, reduziert sich der Zeitaufwand für das Worldbuilding extrem. Dann genügt es, die Welt in groben Zügen zu skizzieren und lediglich die Teile und Aspekte genauer ausarbeiten, die Sie für Ihre aktuelle Romanhandlung wirklich brauchen.

Unterm Strich sparen Sie daher, so paradox das auch klingen mag, einiges an Zeit, wenn Sie Ihre Handlung zunächst in groben Zügen planen und sich dann beim Worldbuilding (oder der Recherche) auf die Aspekte konzentrieren, die wirklich für Ihre Romanhandlung von Bedeutung sind.

Wenn Sie beispielsweise bei einem Berlin-Krimi wissen, dass es Ihren Protagonisten niemals an den Flughafen verschlägt, müssen Sie keine Details hierüber recherchieren. Und wenn Sie wissen, dass die Handlung Ihres Fantasy-Romans ausschließlich im Gebirge und im bewaldeten Landesinneren spielt, brauchen Sie sich keine allzu großen Gedanken über die Küstenregionen oder die vorgelagerten Inseln zu machen.

Dass Sie Ihre Handlung grob vorplanen bedeutet natürlich noch lange nicht, dass Sie sich später auch an diesen anfänglichen Plan halten müssen. Da gibt es ein gutes Zitat von Winston Churchill: „Pläne sind unwichtig, aber die Planung ist unverzichtbar.“

Der Planungsprozess zeigt Ihnen, was wichtig ist und was nicht. Er zeigt Ihnen, worauf Sie hauptsächlich Ihr Augenmerk richten sollten. Er hindert Sie jedoch nicht daran, aus gutem Grund und nach gründlichem Abwägen doch noch umzudisponieren und den ursprünglichen Plan über den Haufen zu werfen: Wenn Sie also während des Schreibens Ihres Fantasy-Romans erkennen, dass sich die Handlung entgegen Ihrer ursprünglichen Planung doch in Richtung Küste verlagert, können Sie immer noch ans Reißbrett zurückkehren und auch noch die Küstenregion und den Weg dorthin ausarbeiten, damit Sie auch diese in Ihrem Roman glaubwürdig beschreiben können.


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